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Ausbildung mit Gestaltungsmacht: Warum unsere Gesellschaft Lebenshandwerker braucht

Handwerk muss wieder wertgeschätzt werden, denn es unterstützt uns darin, die Kontrolle über alltägliche Dinge in einer Zeit der Technisierung und Kommerzialisierung aller Lebensbereiche zurück zu holen.

Handwerk muss wieder wertgeschätzt werden, denn es unterstützt uns darin, die Kontrolle über alltägliche Dinge in einer Zeit der Technisierung und Kommerzialisierung aller Lebensbereiche zurück zu holen.

18.12.2017 - Gastbeitrag von Dr. Alexandra Hildebrandt, Foto: Steffi Henn

Mit Funktionsmacht kann eine Gesellschaft nicht verändert werden – wir brauchen Gestaltungsmacht, denn nur Lebenshandwerker haben keine Angst vor Veränderungen und können eine Gesellschaft reparieren und neu machen.

Handwerk stiftet Sinn, macht das Denken beweglich und frei. Wir brauchen es, um urteilsfähig zu sein und die richtigen Entscheidungen zu treffen. Leider spiegelt sich diese Wertschätzung nicht im Arbeitsmarkt wider. Viele Ausbildungsbetriebe stellen seit Jahren fest, dass bei ihnen weniger Bewerbungen eingehen und Stellen nicht besetzt werden können. Die meisten sehen die Akademisierung als Hauptgrund. Gewiss ist sie bei der steigenden Komplexität des digital-globalen Marktes heute dringlich und notwendig, dennoch dürfen die handfesten Ausbildungsberufe nicht ins Hintertreffen geraten, denn sie halten eine Gesellschaft zusammen, müssen allerdings auch an aktuelle Gegebenheiten angepasst und stärker gefördert werden. Vor allem geht es heute darum, Handwerk, Technik und Unternehmensorganisation mit dem schnelllebigen Markt und der damit zusammenhängenden neuen Arbeitswelt zu verbinden.

Thomas Brinkmann, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, bestätigte im November 2017 während der Mitgliederversammlung der Tischler-Innung Herford bei Häcker-Küchen, dass sich die Jahresrechnungen der Innung und der eigenen Lehrwerkstatt zwar dank der guten Konjunkturlage gut weiterentwickelt haben - Sorgen allerdings bereiten ihm und dem Obermeisterteam die Lehrlingszahlen. „Seit Jahren bilden zu wenige der Mitgliedsbetriebe aus“, sagte Heiko Bahls, der die überbetriebliche Lehrwerkstatt in Bünde leitet. Dieser Abwärtstrend sei besorgniserregend.

Das Unternehmen Häcker Küchen war als jahrzehntelanges Mitglied der Tischler-Innung eng verbunden. Längst entwickelte es sich zu einem Global Player auf den internationalen Märkten und zeigt, dass es auch anders geht und Ausbildung ein wichtiger Erfolgsfaktor ist: Über 1.400 Mitarbeiter erwirtschafteten im Jahr 2016 einen Umsatz von 512 Millionen Euro, dabei liegt der Exportanteil bei rund 40 Prozent. In Rödinghausen wird bereits seit 1980 ausgebildet. Die erste Auszubildende zur Industriekauffrau ist dem Unternehmen auch nach 30 Jahren noch treu und im Finanzcontrolling tätig. Derzeit sind insgesamt 62 junge Menschen hier in der Ausbildung, 22 starteten im August 2017: zwölf Auszubildende im kaufmännischen Bereich, darunter acht Industriekaufleute, zwei Fachinformatiker sowie zwei angehende Bachelor of Arts, die ihr duales Studium beginnen.

Das erste Lehrjahr absolvieren die zehn gewerblichen Auszubildenden traditionell in der Lehrwerkstatt. Dabei werden unter anderem Kenntnisse in der Verarbeitung von Holz und Holzwerkstoffen vermittelt. Im zweiten Jahr lernen die Auszubildenden alle drei Wochen eine andere Fertigungslinie kennen, im dritten Jahr kehren sie noch einmal in die Lehrwerkstatt zurück. Die Abschlussarbeit ist ein Möbelstück oder eine Küche, die im eigenen Betrieb gefertigt wird. Im Mai 2017 wurde Häcker Küchen mit dem Gütesiegel „Ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb – Azubi geprüft 2017“ prämiert.

Das ist eines der wenigen positiven Beispiele eines Familienunternehmens, deren Fundament sich auch in krisenanfälligen Zeiten als tragfähig erweist. Der Abwärtstrend geht indessen weiter. Das bestätigt auch der Mathematiker und Sachbuchautor Prof. Gunter Dueck, der sich in seinem Newsletter „DD287“ vom 14. März 2017 dem Thema „Fertigexperten gesucht! Neuausbildung nicht möglich!“ widmete.

Wir haben heute nur noch Routine und Hochexpertise statt „Mittelschicht“. Auch bei der Arbeit nimmt das „Mittlere“ immer mehr ab, was dazu führt, dass auch die Ausbildung der klassischen Form verschwindet: „Wir kennen die Reihenfolge Azubi, Geselle, Meister.“ Die aktuellen Entwicklungen zeigen jedoch, dass es heute keine Ausbildungsbrücke dazwischen mehr gibt.

Häufig geht es heute darum, gleich zu führen und Funktionsmacht zu erhalten. Wenn Manager dann aber ihren Job verlieren und gefragt werden, was sie „können“, antworten sie: „Ich kann führen!“ Aber ohne Gesellenstufe mit ausgebildeter Gestaltungsmacht ist das in Krisen- und Umbruchzeiten, wo Luftblasen schneller platzen, nichts wert.

Fertige Lösungen kann niemand anbieten (auch nicht Prof. Dueck), aber es ist wichtig, sich das Problem immer wieder bewusst zu machen: Deutschland gehen die Meister aus!

Weitere Informationen:

Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Küchen-Kultur und Lebensart: Warum Verantwortung nicht zwischen Herd und Kühlschrank aufhört. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition. Weitere Informationen: https://www.amazon.de/dp/B0711KVMG9/ref=cm_sw_em_r_mt_awdo_EmdfzbT6ECRYC



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