Die Digitalisierung hat die Welt des Recruitings grundlegend verändert und stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen. Christoph Athanas, Gründer und Geschäftsführer der meta HR GmbH, ist einer der führenden Experten auf diesem Gebiet. Mit über 15 Jahren Erfahrung in der Beratung von Unternehmen rund um Recruiting-Optimierung, Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität hat er die Entwicklung der Branche hautnah miterlebt. In diesem Interview teilt er wertvolle Einblicke, wie Daten und digitale Tools Recruiting-Prozesse revolutionieren, welche Bedeutung eine positive Candidate Experience für die langfristige Mitarbeiterbindung hat und welche Rolle Künstliche Intelligenz in der Zukunft spielen wird. Erfahre, welche Strategien in der modernen Arbeitswelt den Unterschied machen und wie Unternehmen sich erfolgreich im Wettbewerb um die besten Talente positionieren können.
JOBVERDE: Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen und erläutern, wie Sie Ihre Karriere im Recruiting und Employer Branding aufgebaut haben?
Christoph Athanas: Ich bin Gründer und Geschäftsführer der meta HR Unternehmensberatung GmbH. Wir beraten Arbeitgeber darin im Recruiting erfolgreich zu sein bzw. es zu werden. Ebenso unterstützen wir bei den Themen Employer Brand und Arbeitgeberattraktivität. Im Blick haben wir dabei oft den Mix aus Recruitingprozessen, Unternehmenskultur, Arbeitgebermarke und den Kompetenzgerüsten der handelnden Personen in Personal- und Fachabteilungen. Das bedeutet, dass ich in unseren Beratungsmandaten genauso viel Wert auf die verfügbaren (Recruiting-)Daten lege, wie auf die Gespräche mit den Menschen. Beides zu sehen und miteinander zu verbinden, ist mMn sehr sinnvoll und macht mir Freude.
Die meta HR gibt es seit 2008. Zuvor war ich ein paar Jahre freier Managementberater, vor allem im deutschen Mittelstand. Meine ersten 7 beruflichen Jahre nach dem Studium habe ich als Projektleiter und Organisationsentwickler für die BerlinWasser Gruppe gearbeitet.
In der deutschsprachigen HR Szene kennen mich zudem viele als einen von zwei Gründern des „HR BarCamps“, dem innovativen und basisdemokratischen HR Event und als Co-Autor zahlreicher Recruitingstudien.
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Wie hat sich das Recruiting durch die Digitalisierung verändert und welche Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft für Unternehmen?
Selbstverständlich hat sich Recruiting durch die fortschreitende Digitalisierung verändert. Vieles geht nun viel schneller, ist viel transparenter. Gleichzeitig sind die potenziell verfügbaren Datenmassen aber auch eine Herausforderung darin noch die wirklich wichtigen Informationen zu finden. Die Herausforderungen für Unternehmen bzw. Arbeitgeber in Deutschland werden aus meiner vor allem geprägt durch stärkeren Wettbewerb, schwierigere Rahmenbedingungen (z.B. Energiepreis, viel Regulierungsanforderungen) in Kombination mit einer Workforce, die in Teilen sehr anspruchsvoll geworden ist und durch den demografischen Wandel auch in fast allen Berufsfeldern kleiner wird. Unternehmen müssen also aufpassen wirtschaftlich stabil und gleichzeitig attraktiv für bestehende und potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bleiben. Und obendrauf den weiteren Wandel zu bewältigen, d.h. in vielen Fällen deutlich flexibler zu sein als in früheren Jahren.
Wie können Unternehmen die „Candidate Experience“ optimieren und welche Auswirkungen hat dies auf die langfristige Bindung von Talenten?
Candidate Experience kann nur optimiert werden, wenn man den IST-Zustand kennt. Insofern sollten Arbeitgeber regelmäßig z.B. ihre New Hires nach deren Kandidatenerfahrungen befragen. Daraus ergeben sich i.d.R. meist gute Hinweise, wo Unternehmen aktiv werden müssen. Die Mitarbeiterbindung wird von der zuvor gemachten Candidate Experience beeinflusst. Kurz gesagt sind diejenigen, welche gute oder sehr gute Erfahrung als Kandidaten und während des Onboardings machen durchschnittlich deutlich loyaler zu dem Arbeitgeber als diejenigen mit anderen Erfahrungen. Prof. Peter M. Wald (HTWK Leipzig) und ich haben das in unserer mit über 700 Befragten durchgeführten Candidate Journey Studie nachweisen können. Die Studie ist in ihren Kernaussagen immer noch aktuell und man kann sie bei uns auf der Webseite kostenfrei downloaden.
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Welche Rolle spielen Daten und Analysen in Ihren Recruitingstrategien, und wie können Unternehmen diese effektiv nutzen?
Heute ohne intensive Datennutzung zu rekrutieren, ist so als würde man Autofahren ohne Tacho und Tankanzeige. Da Recruitingprozesse maßgeblich digitalisiert sind, oft im Internet ihren Anfang finden, fallen jede Menge Daten an. Ebenso via Bewerbermanagement-Systeme. Die Herausforderung für Recruitingteams besteht darin sich zu Fragen welche Daten müssen sie kennen, diese zu erheben und durch deren regelmäßig Interpretation zu entsprechenden Anpassungen in den eigenen Handlungen zu gelangen. Grundsätzlich sollte immer ein Blick auf (Personalmarketing-)Kanäle, (Bewerbungs-)Mengen, (Durchlauf-)Zeiten und die finale (Einstellungs-)Qualität geworfen werden.
Welche Ansätze empfehlen Sie, um Employer Branding konsistent über verschiedene digitale Kanäle hinweg zu gestalten?
Ich empfehle als Basis eine gute strategische Grundlage. Das bedeutet eine aus der Organisation unter Einbezug der Belegschaft entwickelte Arbeitgebermarke zu haben. Daraus abgeleitet ein praktisches Framework, was sowohl inhaltlich-thematisch, als auch auf bildsprachlicher Ebene allen Beteiligten klar vermittelt, warum, was und was nicht über den Employer Brand an die verschiedenen Zielgruppen kommuniziert werden soll und wo der Dialog gesucht wird. Oft macht eine Kombination mit dem Einsatz der Markenbotschaft-Methode dafür Sinn. Die dann gewählten Kanäle sind letztlich abhängig davon, wo die Zielgruppenvertreter anzutreffen sind und welche Mittel zur Verfügung stehen. Wichtig bleibt darüber hinaus ein stets Monitoring der Maßnahmen und Ergebnisse, um einen Abgleich zu haben, ob die Employer Brand Ausspielung auch die gewünschten Ziele erreicht oder ob ggf. nachgesteuert werden sollte.
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Wie gehen Sie mit den Herausforderungen des „Remote Recruitings“ um, insbesondere wenn es um den „Cultural Fit“ geht?
Im Remote Recruiting stehen Arbeitgebern mit Cultural Fit Online-Tests und Video-Calls zwei Elemente zur Verfügung, die das Thema kulturelle Passung gut abdecken können, wenn sie entsprechend sinnvoll eingesetzt werden. Video-Interviews müssen dazu nicht bei reinen Frage-Antwort-Spiel bleiben, sondern können auch über Distanz zum virtuellen Meet-the-Team werden. Eine Methode die erfahrungsgemäß gute Erkenntnisse über den Cultural Fit auf Teamebene bringt. Außerdem sind Remote-Prozesse im Recruiting ja oft den persönlichen Touchpoints nur vorgelagert. Im Zweifel ist dort dann noch Raum für den gegenseitigen Kulturabgleich.
Welche Entwicklungen sehen Sie in Bezug auf „New Work“ und wie sollten Unternehmen diese in ihre Talentstrategien integrieren?
„New Work“ steht ja auch für die Transformation der Arbeitswelt hin zu mehr Flexibilität, Eigenverantwortung und digitalen Arbeitsweisen. Es ist entscheidend, dass Arbeitgeber diese Trends proaktiv annehmen, um ihre Attraktivität als Arbeitgeber zu sichern und ihre Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu steigern. Dabei darf das aber kein Modethema sein oder reine Fassade für schöne PR, sondern die Konzepte müssen jeweils auf Wirksamkeit hin geprüft werden. Flexible Arbeitsmodelle sowie der Einsatz agiler Methoden, dort wo es sinnvoll ist, sollten unbedingt Teil dieser Strategie sein. Auch Themen wie Diversity und der Einsatz moderne Kollaborationstools können wichtige Elemente sein, die zur Talentbindung beitragen und zur höheren Produktivität beitragen. Letztlich gibt es für das Blumenstrauß-Thema New Work kein Patentrezept, sondern nur die genannten Bausteine. Arbeitgeber müssen individuell prüfen, was wo passt und wo Mehrwert für Unternehmen und Mitarbeiter schafft.
Wie glauben Sie, wird sich das Recruiting in den nächsten 5 bis 10 Jahren entwickeln, und welche Rolle werden Technologien wie KI dabei spielen?
Ehrlich, diese Glaskugel-Frage wird niemand seriös beantworten können. Wir können nur Mutmaßungen anstellen. Die Veränderungen geschehen inzwischen so schnell, dass mehr als 3 Jahre in die Zukunft kaum sichere Prognosen abgegeben werden. Nehmen wir ChatGPT: Noch im Jahr 2022 konnte niemand den Impact abschätzen, da nicht bekannt war, dass das so breitenwirksam auf den Markt kommen würde... Aber ok, wenn wir über Recruiting Tech und KI nachdenken, wird deren Einfluss vermutlich auch in einigen Jahren noch weiter zugenommen haben. Viele Prozesse werden automatisiert sein, KI wird vermutlich in Form einer permanenten Coaching- und Guidance-Funktion bei Bewerbern gleichermaßen präsent sein wie in Personalabteilungen. Gleichzeitig sind gesellschaftliche Entwicklungen wichtig, die über Technologie hinausgehen und gleichzeitig technologische und andere Antworten fordern werden. Ich denke hier an Themen wie Gig Economy, den fortschreitenden demografischen Wandel oder das Thema Umgang mit Privacy und Datenschutz vs. „gläserner“ Bürger bzw. Bewerber. Dieser Ausblick wäre fast ein eigenes Interview wert, so umfangreich und gleichzeitig doch so ungenau müssen die Antworten in der Kürze hier bleiben.
Bild: Christoph Athanas
Über Christoph Athanas:
Christoph Athanas ist Geschäftsführer der meta HR GmbH - einer Unternehmensberatung für Personalfragen, die sich auf Recruiting-Optimierung sowie auf die Themen Employer Branding und Arbeitgeberattraktivität spezialisiert hat. Christoph ist Co-Autor diverser Recruiting-Studien insbesondere zum Themenfeld „Candidate Experience“. Er ist außerdem einer der zwei Gründerväter der bekannten HR BarCamps – einem innovativen, jährlichen Veranstaltungsformat für HR Professionals. Über HR-Trendthemen schreibt Christoph seit 2009 in seinem meta HR Blog und er ist Moderator des Youtube-Kanals HR Snacktime.
Hier findest du sein neuestes Video, in dem Christoph Athanas zusammen mit Till Ebinger zeigt, wie man Recruiting-Teams durch datenbasierte Ansätze, moderne Tools und optimierte Prozesse zu High Performern macht: