Suche
Personalexpert*innen

Über die Herausforderungen und Methoden der Arbeitszeiterfassung - Ein Interview mit Rechtsanwältin Kaja Keller

INTERVIEW | Im Interview spricht Rechtsanwältin Kaja Keller über mögliche Herausforderungen und Methoden der Arbeitszeiterfassung. Lies hier mehr!

INTERVIEW | Im Interview spricht Rechtsanwältin Kaja Keller über mögliche Herausforderungen und Methoden der Arbeitszeiterfassung. Lies hier mehr!

03.06.2019 | Ein Interview geführt von Ella Poppensieker | Bild: Kanzlei Gansel Rechtsanwälte

JOBVERDE: Arbeitgeber müssen nach einem Urteil des EuGH sämtliche Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter erfassen. Was bedeutet dieses Urteil für die Arbeitnehmer und für die Arbeitgeber?

KAJA KELLER (Rechtsanwältin bei der Kanzlei Gansel Rechtsanwälte): Auf die Arbeitnehmer und Arbeitgeber hat das Urteil des EuGH erst einmal keinen sofortigen Einfluss. Vielmehr bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Pflicht der Arbeitszeiterfassung im Gesetz umsetzen wird.
Klar ist jedoch, dass insbesondere Betriebe, die derzeit auf Vertrauensarbeitszeit setzen und keine Arbeitszeiten erfassen, technische Voraussetzungen schaffen und Arbeitsabläufe teilweise neu organisieren müssen.
Gerade in Kreativen Berufen, wo sich Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten oft frei einteilen dürfen, könnte die Flexibilität auf der Strecke bleiben.
Im Niedriglohnsektor – etwa bei Lieferdiensten und in der Gastronomie – in dem oftmals etliche Überstunden geleistet werden, könnte die neue Regelung die Arbeitsbedingungen allerdings verbessern.

Was besagt das geltende Recht zu diesem Thema? 

Aktuell hat der Arbeitgeber laut § 16 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) die Pflicht, jene Arbeitsstunden seiner Mitarbeiter zu dokumentieren, die über die maximale werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgeht. Diese Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren.
Zudem gibt es im Mindestlohngesetz (MiLoG) bereits eine Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeiten, z. B. für geringfügig Beschäftigte (Minijobber). Gleiches gilt für Beschäftigte in Branchen, die besonders häufig Probleme mit Schwarzarbeit haben, wie etwa das Bau- oder Gebäudereinigungsgewerbe.

Warum kommt das Thema jetzt überhaupt wieder auf den Tisch? Herrscht hier wirklich Reformbedarf? 

Grundsätzlich kam die Klage ja von einer spanischen Gewerkschaft gegen ein spanisches Unternehmen. Auch wenn es sich dabei um einen Ableger der Deutschen Bank handelte – ein direkter Rückschluss vom EuGH-Urteil auf den Reformbedarf des deutschen Arbeitszeitgesetzes ist hier also schwer.
Im Prinzip gibt es in Branchen, in denen lange Arbeitstage und Überstunden an der Tagesordnung sind – wie beispielsweise in der Gastronomie – bereits die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. Hier mangelt es in den meisten Fällen eher an der Ahndung von Verstößen durch Kontrollen. Es ist fraglich, ob eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung daran etwas ändern wird.
Helfen würden wohl eher betrugssichere Systeme und regelmäßigere Kontrollen.

Welche Rechte und Pflichten hatten Arbeitnehmer und Arbeitgeber damals, als es noch die Stechuhren gab? 

Erst einmal ist die Stechuhr – in abgewandelter Form - noch immer eine gängige Form der Zeiterfassung in bestimmten Branchen, wie etwa der Industrie. Die alte Stempelkarte aus Pappe wurde in vielen Fällen lediglich durch Chipkarten und Sensoren ersetzt.
Solche genauen Arbeitszeiterfassungen sind in der Regel im Arbeits- oder Tarifvertrag geregelt und verpflichten den Arbeitgeber, genau die Zeit zu vergüten, in der sich der Arbeitnehmer ein- und wieder ausgestempelt hat.
Auf der anderen Seite ist der Arbeitnehmer dazu verpflichtet, die Stechuhren seines Betriebes ordnungsgemäß zu nutzen.

Welche Systeme zur Arbeitszeiterfassung könnten zukünftig praktikabel sein? 

Hier sind viele Methoden denkbar. Die Arbeitszeit könnte durch einen Sensor am Eingangstor oder mit dem Ein – bzw. Ausloggen am Computer starten und enden. Genauso ist eine App für das Smartphone ebenso denkbar wie eine simple Excel-Tabelle, die von jedem Mitarbeiter eigenständig ausgefüllt wird. Es wird darauf ankommen, welche Anforderungen das neue Gesetz an die Zeiterfassung stellen wird. Herausforderungen entstehen insbesondere dann, wenn ein Mitarbeiter im Homeoffice arbeitet oder bereits auf dem Weg zur Arbeit betriebliche E-Mails beantwortet. Ein System einzuführen, welches auch die flexiblen Arbeitsmodelle berücksichtigt, wird mit großem Aufwand verbunden sein.

Es gibt bereits den ersten Koalitionsstreit um das EuGH-Urteil. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat da einiges dagegen. Viel heiße Luft um nichts am Ende? 

Man muss abwarten, ob das geplante Rechtsgutachten von Herrn Altmaier tatsächlich ergibt, dass Deutschland das Urteil nicht umsetzen muss. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat sich allerdings schon für die Umsetzung ausgesprochen.
Ich gehe davon aus, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung kommen wird. Wichtig ist nur, dass es für alle Unternehmen von drei bis 300 Mitarbeitern umsetzbar wird.

 

Kaja Keller ist Rechtsanwältin bei der Kanzlei Gansel Rechtsanwälte. Die Kanzlei Gansel Rechtsanwälte wurde im Jahr 2004 von Dr. Timo Gansel in Berlin gegründet. Mit den Schwerpunkten im Bank-, Versicherungs- und Arbeitsrecht setzt sich die Kanzlei mit ihren rund 200 Mitarbeitern bundesweit für die Rechte von Verbrauchern und mittelständischen Firmen sowie von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ein. Außerdem ist Gansel Rechtsanwälte eine der führenden Kanzleien im Dieselskandal.



Kommentare

Keine Kommentare vorhanden.

Kommentar erstellen
Name *
E-Mail *
URL
Kommentar *
Hiermit erkläre ich mich damit einverstanden, dass die abgesendeten Daten nur zum Zweck der Bearbeitung meines Anliegens verarbeitet werden. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Grüne JOBS

Premium Partner