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Nachhaltige Arbeitgeber*innen

Themenreihe "Wie Frauen Karriere machen" - Im Interview Heidi Holzhauser, Leiterin des Stabes BCA Kompetenzzentrum Chancengleichheit am Arbeitsmarkt der Arbeitsagentur

Der Arbeitsmarkt entwickelt sich anhaltend positiv. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nimmt zu. Dabei profitierten Frauen stärker vom Beschäftigungswachstum als Männer.

Der Arbeitsmarkt entwickelt sich anhaltend positiv. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nimmt zu. Dabei profitierten Frauen stärker vom Beschäftigungswachstum als Männer.

08.08.2016 - Bild: Heidi Holzhauser, Arbeitsagentur

JOBVERDE: Frau Holzhauser, wie ist die Lage am Arbeitsmarkt aktuell?

HEIDI HOLZHAUSER: Der Arbeitsmarkt entwickelt sich anhaltend positiv. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nimmt zu. Dabei profitierten Frauen stärker vom Beschäftigungswachstum als Männer, aber immer noch gehen mehr Männer im erwerbsfähigen Alter einer Beschäftigung nach. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit auf dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. Und es sind weniger Frauen als Männer arbeitslos. Aber bei alledem bestehen bestimmte geschlechtsspezifische Problemlagen weiterhin fort: Das Risiko arbeitslos zu werden, ist für Frauen zwar geringer als für Männer, sind sie allerdings arbeitslos, gelingt es ihnen seltener, die Erwerbslosigkeit durch Aufnahme einer Beschäftigung zu überwinden. Frauen sind auch häufiger von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen als Männer. Ebenfalls deutlich häufiger stehen sie vor der Herausforderung, neben der Arbeitsuche alleinerziehend für eines oder mehrere Kinder verantwortlich zu sein oder als Berufsrückkehrende den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen. Frauen finden sich, gerade nach einer Familienzeit, öfter in Minijobs und Teilzeitbeschäftigung wieder als Männer.

In einer Umfrage gaben 87 Prozent der befragten Frauen an, dass Förderung durch den Vorgesetzten bei der Karriere hilft. Welche Förderung benötigen Frauen Ihrer Meinung nach?

Für die berufliche Karriere brauchen Frauen genauso wie Männer Führungskräfte, die ihr Potenzial erkennen und fördern. Junge Frauen haben in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich mehr in schulische und berufliche Bildung investiert und verschieben wegen ambitionierter beruflicher Ziele den Kinderwunsch deutlich nach hinten. Wollen wir aber, dass auch diese Frauen ihre Potenziale optimal in den Arbeitsmarkt einbringen können, brauchen sie intensive und aktive Unterstützung von Arbeitgeberseite. Mentorinnen- und Mentorenprogramme durch erfahrene Führungskräfte eignen sich hervorragend, um  gezielt berufliche Karriereplanungen auch während der Familienphase zu fördern. Frauen mit Familienpflichten und Pflegeaufgaben brauchen aber auch immer die Gewissheit, dass ihr Vorgesetzter sie unterstützt, wenn plötzlich eintretende Notsituationen unkonventionelle und schnelle Lösungen erfordern.

Work-Life-Balance und Mitbestimmung im Job ist vielen Frauen heutzutage extrem wichtig. Können Sie diese Ansprüche nachvollziehen und wenn ja, weshalb?

Zahlreiche Studien belegen, dass die Themen Familienfreundlichkeit und Work-Life-Balance von zentraler Bedeutung bei der Wahl des Arbeitsplatzes sind – mittlerweile nicht mehr nur für Frauen, sondern auch für Männer. Ein familienfreundlicher Arbeitgeber bzw. eine familienfreundliche Arbeitgeberin ist für über 90 Prozent der jungen Beschäftigten zwischen 25 und 39 Jahren mit Kindern mindestens ebenso wichtig wie das Gehalt. Auch für 72 Prozent in der Gruppe der 40- bis 49-Jährigen spielen familienfreundliche Angebote bei der Arbeitsplatzwahl eine wichtige Rolle. Mit 67 Prozent ist die Wechselbereit-schaft für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Beschäftigten unter 40 Jahren nur wenig höher als bei der älteren Vergleichsgruppe, in der sie 60 Prozent beträgt.

Frauen haben heutzutage i.d. R. die besseren Schulabschlüsse als Männer und sie absolvieren zu einem hohen Anteil Studiengänge. Junge Frauen wollen erfolgreich beruflich tätig sein und Karriere machen, aber sobald sie eine Familie gegründet haben, sind es nach wie vor die Frauen/Mütter, die sich um die Kinderbetreuung kümmern und oft genug in Teilzeit den Wiedereinstieg suchen. Und gerade hier können Unternehmen mit einer erfolgreichen Personalpolitik ansetzen, nämlich Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Privatleben anbieten.

Ein anderes Großthema der Generation Y ist das Thema Teilzeit. Hier ergeben sich derzeit neue Job-Modelle wie beispielsweise Job-Sharing. Kennen Sie hierzu Erfolgsmodelle aus der Praxis?

Die Chancen, die für Unternehmen und auch Beschäftigte imArbeitsmodell des Job-Sharing liegen, haben wir schon seit vielen Jahren beworben. Denn bei diesem Modell teilen sich normalerweise zwei Beschäftigte eine Vollzeitstelle. Auf den ersten Blick eine tolle Idee, aber in der Praxis nicht immer so einfach umzusetzen, wenn man sich die Stelle täglich teilt. Denn die Öffnungszeiten von Kitas erlauben nicht immer das Arbeiten am Nachmittag. Vielversprechender sind hier Modelle, die einen wöchentlichen Wechsel mit kurzen Überschneidungszeiten vorsehen. Ich selbst habe vor 30 Jahren zwischen meinem ersten und zweiten Kind ein solches Job-Sharing-Modell mit einer Kollegin genutzt. Wir arbeiteten jeweils im Wechsel von mittwochs bis dienstags in Vollzeit und hatten dann wieder eine Woche frei. Gerade für Kinder die ideale Lösung, weil das Wochenende die Arbeitsphase unterbricht. Mein damaliger Personalchef war mächtig stolz darauf, dass er uns diese für alle Beteiligten optimale Lösung ermöglichen konnte. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen konnte ich Qualifikationsverluste durch längere Unterbrechungszeiten vermeiden. Es bleibt nun abzuwarten, welche neuen flexiblen Arbeitszeitmodelle durch die Arbeitswelt 4.0 entstehen.

Die Bereitschaft Überstunden zu leisten sinkt bei Mann und Frau seit Jahren. Neueste Studien belegen, dass der 6 Stunden-Tag deutlich produktiver ist als der in Deutschland normale 8 Stunden-Tag. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, das ist individuell unterschiedlich. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der klassische „nine to five“ Job in Zukunft ein Auslaufmodell sein wird. Manche Beschäftigte sind in den frühen Stunden produktiv, andere eher erst gegen Abend. Die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt wird hier Möglichkeiten schaffen, die die klassische Vollzeit-Anwesenheit im Büro nicht mehr erforderlich macht. Anwesenheitszeiten werden sich mit mobilen Arbeitszeiten und Freizeitphasen abwechseln. Wie diese neuen Modelle optimal in Arbeitsorganisation und Produktionsablauf integriert werden können, um sowohl auf Mitarbeiterwünsche einzugehen wie auch hohe Produktivität zu garantieren, wird eine Herausforderung für die Unternehmen sein.

Was denken Sie, wie wird sich der Karriereweg für Frauen in den kommenden Jahren verändern? Wie anpassungsfähig müssen Frauen in Zukunft sein und inwieweit können Frauen die Zukunft mitbestimmen?

Unternehmen und die Wirtschaft werden es sich zukünftig immer weniger erlauben können, auf gut ausgebildete Frauen zu verzichten. Denn hier sind wichtige Potenziale, die dringend benötigt werden, um den Fachkräftebedarf zu decken. Personalverantwortliche, die nicht berücksichtigen, dass die jungen Frauen und jungen Männer neben Karriere und guter Bezahlung deutlich mehr die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Selbstverwirklichung und Work-life-Balance schätzen, werden es in der Zukunft  schwer haben, ihre benötigten Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Frauen werden daher in den nächsten Jahren wesentlich bessere Chancen haben, sich berufliche Perspektiven zu eröffnen und Karriere zu machen.

Ist Deutschland in Sachen Frauenquote auf einem guten Weg?

Wahrscheinlich beziehen Sie sich auf die Frauenquote in den Aufsichtsräten. Die Entscheidung war sicherlich gut, hier eine Verbindlichkeit zu schaffen. Die Gründe, warum es Frauen bisher nicht ohne weiteres in die Aufsichtsräte schaffen, sind vielfältig und hängen auch von verschiedenen Rahmenbedingungen ab. Der Wunsch nach Familie und die oft genug noch unzureichenden flexiblen Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind das eine, aber auch Rollenvorstellung und Rollenzuschreibungen, fehlende Unterstützung bei der Karriere und manches mehr können Gründe sein. Die Begründung, dass für bestimmte Positionen keine geeigneten Frauen verfügbar wären, lässt sich  heute aufgrund der mittlerweile top ausgebildeten Frauengeneration kaum mehr aufrechterhalten. Ein rechtzeitiges Fördern und Unterstützen der weiblichen Potenziale in Unternehmen ist aus meiner Sicht unerlässlich. Auch sollten manche „männlich“ geprägten Arbeitsbedingungen in Aufsichtsräten stark überdacht werden. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass hier ein Umdenken stattfindet. Und je mehr weibliche Vorbilder in verantwortungsvollen Funktionen vorhanden sind, umso mehr werden auch weitere Frauen in diese Positionen streben. Wenn allerdings die Rahmenbedingungen für eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht geschaffen werden, um solche Positionen auch als Mutter auszufüllen, werden wir immer mehr Frauen in solchen Funktionen finden, die sich für Karriere, aber nicht für Kinder entscheiden.

Der Gender Pay Gap ist immer noch hoch und wird sich voraussichtlich in den kommenden Jahren auch nicht verkleinern. Wie erklären Sie Ihren Frauen, dass sie trotzdem weniger Gehalt beziehen als die Männer. Daten der OECD zeigen jedoch, dass mehr Frauen als Männer heute einen Hochschulabschluss erreichen?

Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes ergibt sich für 2015 ein unbereinigter Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern von 21 Prozent, ein Prozentpunkt weniger als im Vorjahr. Als die wichtigsten messbaren Gründe für den so genannten unbereinigten Gender Pay Gap werden die unterschiedlichen Branchen und Berufe sowie Qualifikationen gesehen, in denen Frauen und Männer arbeiten. Frauen sind in Hochlohnbranchen unterrepräsentiert und tendenziell in kleineren Betrieben beschäftigt. Sie besetzen gut drei Viertel aller Stellen in den eher niedrig entlohnten Bereichen Erziehung und Unterricht sowie im Gesundheits- und Sozialwesen, in eher hoch entlohnten Bereichen wie im Verarbeitenden Gewerbe weniger als drei von zehn Stellen. Auch die Zugangschancen zu Karrierestufen und Führungsverantwortung für Frauen und Männer sind unterschiedlich. Hinzu kommen weitere Faktoren wie zum Beispiel vermehrte Teilzeitbeschäftigung und längere Phasen der Nichterwerbstätigkeit wegen Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen. Damit  können zwei Drittel des Unterschiedes in den durchschnittlichen Bruttostundenlöhnen erklärt werden. Das verbleibende Drittel des Verdienstunterschiedes entspricht dem so genannten bereinigten Gender Pay Gap.

Das Fortbestehen der Entgeltunterschiede wird durch weitere vielfältige und komplexe Ursachen beeinflusst: tradierte Rollenbilder, durch Klischees geleitete Studien- und Berufswahl, Hinzuverdienst der Ehefrau und Mutter zum Hauptverdienst des Ehemannes, Unterstützung dieser Verhaltensmuster durch gesetzliche Rahmenbedingungen wie Ehegattensplitting, abgeleitete Sicherungsansprüche in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie nach wie vor fehlende flexible Angebote in der Kinder- und Altenbetreuung. Insofern haben nur 10 % der Frauen zwischen 30 und 50 Jahren ein eigenes Nettoeinkommen von mehr als 2.000 Euro, hingegen 42 Prozent der Männer im gleichen Alter. Nur 39 Prozent sind vollzeiterwerbstätig und 19 Prozent der verheirateten Frauen in dieser Altersphase haben gar kein eigenes Einkommen. Ergebnis ist – trotz bester Ausbildung der Frauen – weibliche Altersarmut wegen des segregierten Arbeitsmarktes mit Teilzeitfalle und monetär unterbewerteten Dienstleistungsberufen. Deswegen brauchen wir eine geschlechtsrollensensible Erziehung in Kindertageseinrichtungen und Schulen; eine Unternehmens- und Arbeitskultur, die eine sinnvolle Vereinbarung von Arbeit und Familie für Frauen und Männer gewährleistet; die gleichmäßigere Aufteilung der Elternzeit zwischen Müttern und Vätern; den flächendeckenden Ausbau von flexiblen Betreuungsangeboten (auch zu Rand- und Ferienzeiten) und Ganztagsschulen; den Abbau von Fehlanreizen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht; die Abschaffung der kostenfreien Mitversicherung nicht erwerbstätiger EhepartnerInnen in der gesetzlichen Krankenversicherung; die verstärkte  Einmündung von Frauen in zukunftsträchtigen Berufen, wie z.B. im MINT-Bereich.

Frauen rate ich, sich in jeder Phase des Berufslebens bewusst zu machen, welche Konsequenzen Entscheidungen im Lebensverlauf haben, die Entscheidung hin zum Minijob, hin zu Teilzeit, hin zu längeren beruflichen Unterbrechungen. Ich empfehle ihnen auch, sich in ihrer Berufswahl an Eignung und Neigung, frei von jeglichen Rollenklischees zu orientieren, die berufliche wie auch finanzielle Unabhängigkeit sowie berufliche Perspektiven und Karrierewege im Blick zu haben und damit neue Wege zu gehen.  Die Rahmenbedingungen dafür sind noch nicht optimal, haben sich in den letzten Jahren jedoch deutlich verbessert. Frauen sollten diese strukturellen Veränderungen nutzen, um möglichst vollzeitnah zu arbeiten.

www.arbeitsagentur.de



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