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Dauerlächeln: Die neuen Krankmacher

Warum wir uns unseren Launen überlassen sollten. Ein Gastbeitrag von Dr. Alexandra Hildebrandt.

Warum wir uns unseren Launen überlassen sollten. Ein Gastbeitrag von Dr. Alexandra Hildebrandt.

Mehr zu den Themen:   gastautorin dr. alexandra hildebrandt
12.03.2018 - Ein Gastbeitrag von Dr. Alexandra Hildebrandt, Foto: © Dr. Alexandra Hildebrandt

So wie der Mond zu- und abnimmt, so verhält es sich auch mit unserer Stimmung bzw. „Laune“. Der Begriff stammt vom lateinischen „luna“ (Mond). Peter Sloterdijk zeigt in seiner Sphären-Trilogie, dass das  Mittelalter in der Launen-Göttin Fortuna eine Dämonin der schlimmen Wandelbarkeit sieht. Die jenseits der Weltordnung und Berechenbarkeit stehende Göttin ist blind und taub. Sie hat zwei Gesichter: ein lächelndes und ein weinendes. In ihrer Unbeständigkeit wendet sie einmal dieses und ein andermal jenes den Menschen zu, ohne dass diese dazu etwas beitragen oder daran hindern könnten. Fortunas Gesetz ist die Beständigkeit des Wechsels.

Mit dem Thema verbunden ist auch die Melancholie, die zunächst sowohl als Krankheit, als auch als Temperament aufgefasst wurde und zu Beginn des Mittelalters erstmalig als „subjektive Stimmung (!)“ auftrat. Sich seiner Laune hinzugeben bedeutet, sich nicht zu verstellen und sich nicht der Diktatur der Positivität hinzugeben. Der Schauspielerin Liselotte Pulver schreibt in ihrer Autobiographie, dass ihr beispielsweise schon immer frühes Aufstehen schlechte Laune bereitet hat: „Früher habe ich am liebsten bis neun geschlafen oder manchmal bis zum Mittag.“ Auf den Wert des Schlafes wurde in den letzten Jahren verstärkt verwiesen – vernachlässigt wurde dabei der Aspekt der Laune, der hier mit „hineinspielt“.  

Das menschliche Gemüt braucht Launen im Wechsel. Zahlreiche Studien belegen, dass schlechte Laune sogar ihre guten Seiten hat: Die Dysphorie (banale Alltagsverstimmung ohne Krankheitswert) steigert die Aufmerksamkeit, Denk-, Konzentrations- und Merkfähigkeit, was wiederum mit weniger Fehlern verbunden ist. Wer immer „gut drauf“ ist, macht sich weniger Sorgen und geht weniger verantwortungsvoll mit Situationen und Dingen um. Der Essayist und Kulturpublizist Konrad Paul Liessmann bemerkte einmal: „Wer sich freut, denkt nicht.“

Das ist leicht geschrieben, denn viele Menschen – vor allem in der Dienstleistungsbranche – müssen ständig gut gelaunt sein und ständig positive Gefühle zeigen. Sonst gibt es kein Trinkgeld, Ärger mit dem Vorgesetzten und schlechte Bewertungen. Laut einer TK-Studie aus dem Jahr 2015 sind Beschäftigte in Callcentern im Jahr durchschnittlich 2,8 Tage wegen Depressionen krankgeschrieben. Sophie Burfeind beschäftigt sich in ihrem Beitrag „Immer schön lächeln“ mit dem Freundlichkeitsdruck in personenbezogenen Tätigkeiten, der psychisch krankmachen kann: „Werden wir alle zu depressiven Dauerlächlern?“

Der Begriff „Emotionsarbeit“, der von der Soziologin Arlie Russel Hochschild zu Beginn der 1980er Jahre entwickelt wurde, bezieht sich auf die Unterdrückung oder Verstärkung der eigenen Gefühle. Leider führt der sich überall ausbreitende Dienstleistungsgedanke „zu einer unverbindlichen Freundlichkeit im Alltag“ – dies sei an „unverbindlich aufgesagten Höflichkeitsfloskeln“ zu erkennen, so Burfeind.

Wer sich seinen Launen hingeben darf und mit ihnen richtig umzugehen weiß, hat oft die besseren Argumente und ist nachweislich weniger manipulierbar und kreativer. Dass auch die Natur ein guter Wegweiser dafür ist, zeigte schon der amerikanische Dichter, Philosoph, Landvermesser und Lehrer Henry David Thoreau (1817-1862), für den Wanderungen zum Wagnis und Abenteuer eines jeden Tages gehörten. Er zog in den Wald, weil er den Wunsch hatte, „mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müßte, daß ich nicht gelebt hatte.“ Zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage lebte er spartanisch in einer winzigen Holzhütte, in der er herausfinden wollte, ob ein Leben mit der Natur möglich ist, und ob das Denken freier fließt, wenn auf zivilisatorischen Ballast verzichtet wird. In seinem Klassiker „Walden oder Leben in den Wäldern“ (1854) beschrieb er sein zweijähriges einfaches und unabhängiges Leben in der Natur. Das Buch reiht  sich in eine lange Tradition selbstaufklärerischen Denkens ein. Darin schreibt er, dass sich der menschliche Reichtum an den Dingen messen lässt, „die er entbehren kann, ohne seine gute Laune (!) zu verlieren.“

Der Ruf der schlechten Laune

Gesellschaftlich ist schlechte Laune gemeinhin verpönt. Sie hat keinen guten Ruf. „Besonnenes, diplomatisches Verhalten wird ja allgemein höher geschätzt als ständig seine Launen auszuleben“, sagt Claudia Silber, die seit 2013 die Unternehmenskommunikation bei der memo AG in Greußenheim leitet. Nach dem Studium der Germanistik und Journalistik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg war sie einige Jahre in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Textilunternehmen tätig. Ein internes CSR-Projekt weckte ihr Interesse am Thema Nachhaltigkeit, dem sie sich seither beruflich widmet.

© Claudia Silber

Manchmal werden ihr Tage, an denen sie eher kritisch unterwegs ist und viele Dinge hinterfragt, oft als schlechte Laune ausgelegt, was manchmal auch gar nicht der Fall ist. Und auch sie bemerkt, dass sie an solchen Tagen wacher und konzentrierter ist: „Wenn ich dann aber tatsächlich richtig schlechte Laune habe, gibt es nichts, was diese wieder aufhellen kann. Allerdings legt sich das meist nach einigen Stunden - im Büro z.B. sehr oft, wenn ich ‚inspirierende‘ Telefonate mit externen Personen führe.“

Auch sie wollte schon immer authentisch sein. Niemand hält es durch, im Agieren mit Menschen ständig eine Rolle zu spielen - dafür ist die Arbeit viel zu anstrengend. Wer Respekt vor anderen Menschen nur schauspielert, aber im Grunde genommen keinen hat, wird irgendwann scheitern. Claudia Silber kann nicht nachvollziehen, warum "authentisch" heute häufig als Unwort gilt, denn es beschreibt genau den Moment, wenn Stimmung, Gefühle und Verhalten übereinstimmen. Genau dann ist sie einfach ehrlich - auch wenn das nicht immer bequem ist: „Natürlich sollte man sich im Griff haben und immer höflich bleiben. Aber Unmut und Unverständnis auszudrücken kann eine Situation auch entschärfen oder klären. Deshalb sollten wir allgemein mehr Verständnis für Launen haben, solange sie sich im Rahmen halten.“

Literatur:

Liselotte Pulver: Dem Leben ins Gesicht gelacht. Wilhelm Heyne Verlag, München 2017.

Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

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Kommentare
Weber
27.04.2020
Finde den Bericht sehr interessant, ich arbeite in einem Bereich in dem ich jeden Tag lächen muss , was mir nicht mehr wirklich gelingt und bin auf der Suche nach einem neuen Bereich .

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