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Ist Nachhaltigkeit utopisch?

INTERVIEW I Wie lässt sich Wachstum in den Einklang mit unseren ökologischen Belastungsgrenzen bringen? Christian Berg spricht mit uns über eine nachhaltige Entwicklung, was uns Corona lehrt und dass jede*r Einzelne handeln kann.

INTERVIEW I Wie lässt sich Wachstum in den Einklang mit unseren ökologischen Belastungsgrenzen bringen? Christian Berg spricht mit uns über eine nachhaltige Entwicklung, was uns Corona lehrt und dass jede*r Einzelne handeln kann.

14.06.2021 | Ein Interview geführt von Laura Hofschlag | Bilder: Unsplash, Christian Berg

Christian Berg ist Speaker, Autor, Moderator und Professor. All seine Tätigkeiten obliegen der nachhaltigen Entwicklung. Sein aktuelles Buch: „Ist Nachhaltigkeit utopisch?“, wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung für das Politische Buch 2021 nominiert und ist zu einem Club of Rome-Bericht geworden. Der Club of Rome ist eine gemeinnützige Gesellschaft, die sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit einsetzt – genau wie Christian Berg.

JOBVERDE: Sie interessieren sich sehr für das Thema nachhaltige Wirtschaft, warum?

Christian Berg: Ich wollte zunächst wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält‘. Daher habe ich Physik und Philosophie, später noch Theologie studiert. Über eine Dissertation zum Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie (zum Download hier) bin ich dann über die Frage nach der Verantwortung für die Schöpfung auf das Thema Nachhaltigkeit gekommen, das mich nicht mehr losgelassen hat. Da Unternehmen eine entscheidende Rolle für eine nachhaltige Entwicklung spielen und ich selbst viele Jahre in großen Unternehmen gearbeitet bzw. diese beraten habe, bin ich immer mehr in die Welt der Corporate Sustainability eingetaucht.

Gleichzeitig habe ich mich seit etwa 20 Jahren für den Club of Rome engagiert – ich war zum Beispiel einer der Gründer und erster Ansprechpartner des Think Tank 30, eines jungen Think Tanks unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft Club of Rome, dessen Vizepräsident ich gegenwärtig bin .

Der Club of Rome hat schon vor 50 Jahren vor den „Grenzen des Wachstums“ gewarnt. Es kann auf einem begrenzten Planeten langfristig kein unbegrenztes Wachstum geben, jedenfalls nicht mit unserer jetzigen Art zu Wirtschaften. Wir leben weit über unsere Verhältnisse. Unser „industrieller Metabolismus“ verbraucht mehr Rohstoffe und entlässt mehr Schadstoffe und Emissionen in die Umwelt als unsere Ökosysteme auf Dauer vertragen. Das Bewusstsein für die Klimakrise ist zwar mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber es bleibt nicht mehr viel Zeit, und die Klimakrise ist außerdem nur die bekannteste Krise dieser Art. Der Verlust von Biodiversität, die Veränderung der großen Stoffströme von Stickstoff und Phosphor, der Zustand der Ozeane – überall gibt es große Herausforderungen, die rasches Handeln erfordern. Und es wird noch komplizierter. Denn Nachhaltigkeit umfasst ja bekanntlich auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen, Nachhaltigkeit ist eine Frage der Gerechtigkeit. Wenn alle Menschen auf unserem Planeten so konsumieren würden wie wir, wären die Ökosysteme noch erheblich stärker belastet. Das kann keiner wollen. Aber wer wollte den armen Ländern verdenken, dass sie sich wirtschaftlich entwickeln? Die Konsequenz daraus kann für mich nur heißen, dass wir im reichen globalen Norden Lebensstile und Wirtschaftsweisen entwickeln müssen, die ein gutes Leben im Einklang mit den ökologischen Belastungsgrenzen ermöglichen. Und hier kommen die Unternehmen ins Spiel. Die Unternehmen, die es schaffen, Produkte und Dienstleistungen für eine solche Welt zu entwickeln, werden nicht nur ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht, sie werden für die künftigen Herausforderungen auch besser aufgestellt sein als ihre Wettbewerber.

Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?

Einfach gesagt: Nachhaltigkeit meint Enkeltauglichkeit. Allerdings muss man gleich hinterherschieben, dass es nicht nur um „unsere“ Enkel (z.B. in Deutschland) gehen kann, sondern auch um die Enkel der Menschen in anderen Weltregionen. Aber natürlich wird niemand an mögliche künftige Enkel denken, wenn man nicht einmal die eigenen Kinder ernähren kann… Es muss also darum gehen, möglichst allen Menschen ein würdevolles Leben zu ermöglichen und gleichzeitig unsere Ökosysteme langfristig zu erhalten – also insbesondere nicht die planetaren Belastungsgrenzen zu überschreiten.

Ende April hat das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz in Teilen als verfassungswidrig erklärt. Wie sehen Sie dieses Urteil?

Das Urteil ist ein Meilenstein! Seit der Art. 20a 1994 zum Grundgesetz hinzugefügt wurde, ist nun zum ersten Mal die darin angesprochene intergenerationelle Verantwortung auf den Klimaschutz angewendet worden. Es geht nämlich nicht mehr darum, die Interessen heutiger Menschen mit denen in einer weit entfernten Zukunft abzugleichen, die vielleicht noch gar nicht geboren sind. Nein, es geht um konkrete Einschränkungen, die die Menschen nach 2031 erfahren würden, wenn bis dahin nicht hinreichend viel für den Klimaschutz getan wird. Das hat damit zu tun, dass wir eben zur Einhaltung der Pariser Klimaziele nur ein Gesamtbudget zu Verfügung haben. Wenn wir jetzt nicht ins Handeln kommen, müssen die Jungen die Zeche zahlen, weil später umso mehr getan werden muss. Das wäre ungerecht, weshalb das Bundesverfassungsgericht dem einen Riegel vorgeschoben hat.

Welche Faktoren (politisch, wirtschaftlich, sozial) sind für eine nachhaltige Entwicklung unabdingbar?

Alle! Das ist ja gerade das Entscheidende beim Thema Nachhaltigkeit, dass alle Bereiche, Sektoren und Akteure gefordert sind. Deshalb müssen wir endlich begreifen, dass sich niemand mehr mit dem Verweis auf das Zögern anderer Akteure herausreden kann. Natürlich brauchen wir politische Rahmenbedingungen – aber auch jetzt schon kann jede und jeder von uns wichtiges beitragen, sei es durch das Mobilitätsverhalten, die Ernährung oder den übrigen Konsum. Natürlich müssen Unternehmen die „richtigen“ Produkte auf den Markt bringen – aber auch jetzt gibt es von solchen nachhaltigeren Varianten eine ganze Menge, ohne dass das immer gleich sehr viel mehr kosten müsste.

nachhaltigeentwicklung

Wie steht die nachhaltige Entwicklung im Zusammenhang mit Corona?

Wir sollten Corona als Weckruf begreifen. Die Menschheit hat mit der Pandemie eine kollektive Erfahrung gemacht, die zeigt, wie fragil unser aller Leben ist. Daran sollten wir denken, wenn es nach Corona weitergeht: nicht einfach in alte Muster zurückfallen, sondern den Neustart nutzen, um die Weichen Richtung Nachhaltigkeit zu stellen.

Wie blicken Sie auf die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN?

Das sind sehr wichtige Ziele – allerdings kann niemand mit Sicherheit sagen, ob sie auch alle gleichzeitig erreichbar sind, weil es Zielkonflikte zwischen ihnen gibt. Zudem haben wir mehr als ein Drittel des Weges bis 2030 schon zurückgelegt und brauchen fast überall noch erhebliche Anstrengungen, wenn wir den Zielen näher kommen wollen.

Vor welchen Herausforderungen stehen wir?

Unser Dilemma ist: Die reichen Länder haben ein hohes Entwicklungsniveau, belasten aber die Umwelt zu stark, während die armen Länder zwar die ökologischen Grenzen besser einhalten, aber bei der Entwicklung noch Aufholen müssen. Bisher schafft es kein einziges Land, ein gutes Entwicklungsniveau mit dem Einhalten der ökologischen Belastungsgrenzen zu verbinden.

Was kann jede*r Einzelne von uns tun?

Sehr viel! Es fängt damit an, ein Bewusstsein für die Herausforderungen und seine eigene Rolle darin zu entwickeln. Wie ernähre ich mich? Was konsumiere ich? Wohin reise ich – und warum? Und welche Auswirkungen hat mein Verhalten auf andere? Auf Menschen in anderen Ländern, in den Lieferketten meiner Klamotten? Auf die wenigen verbliebenen Urwälder? Auf das Klima? Was ist mir wirklich wichtig und was tue ich (hier und heute!), um dem hinreichend Raum zu geben?

Wie können wir zukünftig nachhaltig leben?

Ich habe eine Reihe von Prinzipien nachhaltigen Handelns zusammengetragen, die bei konkretem Handeln unterstützen sollen. Ich kann darauf nicht näher eingehen und vieles ist davon auch schon bekannt, aber ein paar Beispiele: „Dekarbonisieren!“ – fossile Energien in allen Bereichen vermeiden (Ernährung, Wohnen, Verkehr, Konsum). „Wechselseitigen Vorteil suchen!“ – wir werden die Transformation zur Nachhaltigkeit nicht schaffen, wenn wir den sozialen Zusammenhalt verlieren und uns die Gesellschaft um die Ohren fliegt. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur den eigenen Vorteil zu suchen. „Vielfalt fördern!“ ist ein weiteres Prinzip. Denn Vielfalt ist notwendig, damit neues entstehen kann – in der Natur, in der Gesellschaft, in Unternehmen. Wer mehr dieser Prinzipien verstehen möchte, kann in meinem Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch?“ nachlesen.

Was verstehen Sie unter dem Begriff Wachstum 2.0? 

Wie eingangs gesagt, seit dem ersten Club of Rome-Bericht wissen wir um die Grenzen des Wachstums. Es kann nicht weitergehen wie bisher. Aber zugleich gilt, dass Leben immer mit Wachstum zusammenhängt. Es muss also darum gehen, Menschen und Gesellschaften Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, die die negativen Folgen des bisherigen Wachstums vermeiden.

Möchten Sie unseren Leser*innen zum Abschluss noch etwas mit auf den Weg geben?

Es ist wichtig, auf das Positive zu schauen. Unsere Welt ist so faszinierend, die Natur ist immer noch voller Wunder. Es gibt so vieles, was es zu schützen und zu erhalten gibt – und jede und jeder von uns kann damit anfangen. Jetzt.

 

Vielen Dank für das Interview, Herr Prof. Dr. Berg!

Dir schwebt nun auch noch eine Frage im Kopf herum, die du gerne an Christian Berg stellen möchtest?

Dann schreib sie in die Kommentare. Wir freuen uns auf den Austausch mit dir!

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