JOBVERDE: Was halten Sie für die häufigsten Missverständnisse, die Menschen über ihre Finanzen haben – besonders in Bezug auf die private Altersvorsorge?
Martin Sohn: Ein weit verbreitetes Missverständnis ist, dass viele Menschen glauben, sie könnten die private Altersvorsorge auf später verschieben, weil sie die staatliche Rente als „ausreichend“ ansehen. Die Realität zeigt uns dabei aber seit Längerem ein anderes Bild. Die staatliche Rente reicht meist nämlich nicht aus, um den gewohnten Lebensstandard im Alter zu halten.
Ein weiteres Missverständnis betrifft die Vorstellung, dass Altersvorsorge immer nur aus einer einzigen, sicheren Anlage bestehen muss. In Wahrheit sollte sie jedoch vielmehr diversifiziert sein, um von verschiedenen Ertragsquellen zu profitieren und das Risiko zu streuen. Außerdem schätzen viele den Einfluss des Zinseszinseffekts falsch ein. Dabei hat man das mathematische Prinzip in der Regel schon in der Schule gelernt. Wer frühzeitig mit kleinen Beträgen beginnt, kann über die Jahre hinweg ein beträchtliches Vermögen aufbauen. Eine Tatsache, die meiner Meinung nach aber leider oft erst zu spät erkannt wird.
Finanzplanung klingt für viele wie eine komplexe Angelegenheit. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten ersten Schritte, um das eigene Geld effizient zu verwalten?
Martin Sohn: Der erste Schritt sollte immer eine gründliche Bestandsaufnahme der eigenen Finanzen sein. Ich rede hier von einer genauen Übersicht über Einnahmen, Ausgaben, Schulden und Vermögenswerte. Danach kann man mit der Budgetierung beginnen, um zu verstehen, wie viel Geld man regelmäßig für Sparen oder Investieren aufwenden kann. Ein zusätzliches Einrichten eines Notfallfonds halte ich ebenfalls für wichtig, um unvorhergesehene Ausgaben abzudecken.
Wenn Sie einem Arbeitnehmer nur einen Tipp zur langfristigen finanziellen Planung geben könnten, welcher wäre das?
Martin Sohn: Eine langfristige Finanzplanung ist natürlich umfangreich und bietet immer Optimierungsmöglichkeiten. Wenn ich mich jedoch auf einen Tipp festlegen müsste, wäre es, frühzeitig anzufangen zu sparen und dies natürlich regelmäßig einzuhalten. Denn selbst kleine Beträge, die systematisch über Jahre hinweg investiert werden, können sich durch den Zinseszinseffekt zu einem beträchtlichen Vermögen entwickeln. Man könnte dies natürlich anhand vieler Beispielrechnungen einem besser vor Augen halten, da mathematische Theorien für viele schwer zu greifen sind. Sofern ich noch einen weiteren Punkt als Ergänzung nennen könnte, wäre es mein Ratschlag, die eigene Altersvorsorge breit aufzustellen. Damit wäre man schon gut und sicher aufgestellt.
Programme wie vermögenswirksame Leistungen sind eine Art „Geschenk“ vom Arbeitgeber, aber viele Arbeitnehmer nutzen sie nicht vollständig aus. Warum ist es aus Ihrer Sicht so wichtig, diese Angebote wirklich zu verstehen und optimal zu nutzen?
Martin Sohn: Vermögenswirksamen Leistungen können tatsächlich als ein unterschätzter Baustein in der finanziellen Vorsorge gesehen werden. Viele Arbeitnehmer haben nämlich keine genaue Vorstellung davon, wie wertvoll diese Zulagen sind, oder kennen sie erst gar nicht. Sie stellen im Grunde einen staatlich geförderten Sparmechanismus dar, den der Arbeitgeber oft sogar in voller Höhe beiträgt. Wenn dieser Vorteil nicht genutzt wird, verschenkt man nicht nur „bares“ Geld, sondern auch eine ausgezeichnete Möglichkeit, langfristig Vermögen aufzubauen. Wer sich mit den verschiedenen Anlagemöglichkeiten von vermögenswirksamen Leistungen auskennt, kann entscheiden, wie das Geld sinnvoll investiert wird. Sei es in Aktienfonds, eine Bausparsumme oder eine betriebliche Altersvorsorge. Diese Entscheidung kann natürlich den Unterschied zwischen einer bescheidenen Altersvorsorge und einer wirklich soliden finanziellen Zukunft ausmachen.
Welche Fehler machen Arbeitnehmer oft, wenn es darum geht, von staatlich geförderten Programmen wie den VL zu profitieren?
Martin Sohn: Ein häufiger Fehler ist, dass Arbeitnehmer sich nicht aktiv mit den verfügbaren Programmen auseinandersetzen und die vermögenswirksamen Leistungen einfach nicht nutzen. Viele unterschätzen auch die Bedeutung der staatlichen Zulagen, die bei korrekter Nutzung den Sparprozess erheblich beschleunigen können. Ein weiterer Fehler ist meiner Meinung nach, dass die vermögenswirksamen Leistungen häufig in weniger rentablen oder unflexiblen Produkten angelegt werden, anstatt sie gezielt in renditestärkere Optionen zu investieren. Beispielsweise werden sie oft in Bausparverträge eingezahlt, obwohl für viele Sparer Aktienfonds langfristig höhere Renditen bieten könnten. Hier gibt nicht den universell besten Weg. Vieles muss individuell bewertet und angegangen werden. Praktisch eine finanzielle Maßanfertigung, die zur eigenen Person und Situation passt.
Was unterscheidet einen "Sparer" von einem "Anleger"? Welche Rolle spielen staatlich geförderte Produkte, wie VL, in dieser Unterscheidung?
Martin Sohn: Ein "Sparer" legt Geld zurück, ohne dabei das Potenzial einer Rendite auszuschöpfen. Ein "Anleger" hingegen investiert sein Geld so, dass es über die Zeit hinweg wachsen kann, häufig durch Aktien, Immobilien oder andere Anlageklassen. Staatlich geförderte Produkte wie eben die vermögenswirksamen Leistungen sind eine ausgezeichnete Möglichkeit für Sparer, den ersten Schritt in Richtung einer anlagebasierten Vermögensbildung zu tun. Sie ermöglichen es, durch die staatlichen Zuschüsse und die Unterstützung des Arbeitgebers zu investieren, ohne dabei eigenes Kapital einzusetzen.
Wie lässt sich die VL mit anderen Anlagestrategien kombinieren, um eine nachhaltige Vermögensbildung zu erreichen? Können Sie ein paar Beispiele nennen?
Martin Sohn: Die vermögenswirksamen Leistungen können beispielsweise mit einer fondsgebundenen Lebensversicherung kombiniert, oder als AVWL in die bekannte Riester-Rente eingezahlt werden. Diese Kombination ermöglicht es, von den staatlichen Förderungen zu profitieren und gleichzeitig von den höheren Renditechancen einer breiten Streuung in Aktien oder Anleihen zu profitieren. Eine nachhaltige Anlagestrategie kann aber auch eine Mischung aus konservativen und spekulativeren Investments umfassen, die den individuellen Risikoprofilen und Zielen entsprechen.
Wie können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter noch besser über Programme wie Vermögenswirksame Leistungen informieren und sie dazu ermutigen, diese wirklich zu nutzen?
Martin Sohn: Arbeitgeber haben hier natürlich eine Schlüsselrolle. Um ihre Mitarbeiter besser zu informieren, könnten sie regelmäßige Informationsveranstaltungen oder Workshops zu den Vorteilen der VL anbieten. In der Schule werden solche Themen ja leider gar nicht besprochen und gelehrt. Was ich sehr schade finde. Darüber hinaus sollten klare und verständliche Informationsmaterialien bereitgestellt werden, die nicht nur die steuerlichen und finanziellen Vorteile, sondern auch die konkreten Schritte zur Anmeldung und Nutzung erklären.
Ein weiterer Ansatz könnte noch sein, dass Arbeitgeber ihre Mitarbeiter durch individuelle Finanzberatung unterstützen oder sogar konkrete Vorschläge zur Nutzung der vermögenswirksamen Leistungen machen. Wenn der Arbeitgeber aktiv zeigt, wie wertvoll dieses „Geschenk“ wirklich ist, wird die Bereitschaft der Mitarbeiter, es zu nutzen, schließlich auch steigen.
Was sehen Sie als die nächsten großen Entwicklungen im Bereich der finanziellen Vorsorge und Altersvorsorge? Wird die VL in den kommenden Jahren weiterhin eine wichtige Rolle spielen, oder wird sie durch neue Modelle ersetzt?
Martin Sohn: Die VL wird sicherlich auch in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen, insbesondere da immer mehr Menschen die Bedeutung der Altersvorsorge erkennen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Gleichzeitig sehe ich eine zunehmende Digitalisierung der Finanzprodukte, mit mehr maßgeschneiderten Angeboten, die auf die individuellen Bedürfnisse und Lebensumstände zugeschnitten sind. Künstliche Intelligenz könnte dabei eine Rolle spielen, um bessere, personalisierte Anlagestrategien zu entwickeln. Am Ende bleibt es aber wie bei jeder guten Vorsorge. Wer nicht frühzeitig beginnt, wird sich am Ende ärgern.
Wenn Sie den Menschen einen Ratschlag zur besseren Nutzung von Vermögenswirksamen Leistungen geben könnten, was wäre das?
Martin Sohn: Mein Rat wäre, sich einfach die Zeit zu nehmen, die verschiedenen Programme zu vergleichen und sich aktiv für das beste Angebot zu entscheiden. Es ist wichtig, die eigenen finanziellen Ziele im Blick zu haben und sich nicht nur auf die Zulagen zu verlassen, sondern auch auf eine ausgewogene Anlagestrategie, die langfristig stabile Renditen abwirft. Und wenn es erst einmal läuft, wird auch der Renteneintritt so entspannt wie die Tasse Kaffee am Morgen.
Vielen Dank für das Gespräch Herr Sohn!
Finanzexperte Martin Sohn
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