Die neue Bundesbildungsministerin Anja Karliczek bemerkt in einem ZEIT-Interview, dass in den vergangenen Jahrzehnten auch schon die Kinder immer weiter spezialisiert wurden. Niemand kann heute mehr sagen, was in Zukunft richtig sein wird. Deshalb wird eine „große Grundlagenbildung“ benötigt, „um Kinder zu befähigen, Dinge einzuschätzen und zu vernetzen.“ Spezialistentum führt dazu, dass Themen verengt werden und nur das in die eigene Forschung einbezogen wird, was der eigenen Meinung entspricht. Der bekannte Kalauer, dass der Spezialist immer mehr von immer weniger weiß, hat durchaus seinen tieferen Sinn.
Reine Spezialisten mit einem tiefen Expertenwissen sind heute beispielsweise nicht mehr in der Lage, einer mechatronischen Produktentwicklung sowie den aktuellen Entwicklungen im Umfeld der Industrie 4.0 nicht zielgerichtet begegnen. Ihnen fällt der Blick für den ganzheitlichen Systemzusammenhang und die Kommunikation im Team schwer, weil ein gemeinsames Ziel- und Modellverständnis fehlt. Konstrukteure müssen Mechanik, Elektronik und Informationstechnik im entstehenden Produkt verstehen, deshalb können sie keine Spezialisten in allen Bereichen gleichermaßen sein. Sie müssen sich in Teams aus verschiedenen Kompetenzen zurechtfinden können. Der Sammelband „CSR und Digitalisierung“ weist anhand zahlreicher Praxisbeispiele nach, dass interdisziplinäres Arbeiten in der Produktentwicklung vor diesem Hintergrund immer bedeutsamer wird.
Ein Fokus der Ausbildung sollte nach Ansicht der Autoren und Herausgeber auf einem vertieften Technikwissen liegen, das über klassisches Lehrbuchwissen hinausgeht. Leider ist allgemeine Praxiserfahrung eine der Schwachstellen unserer ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge: Nicht nur Studenten bemängeln zu wenig praktische Erfahrungen im Studium, sondern auch Absolventen und Führungskräfte. „Wir müssen in der Praxis lernen.“ Fordert auch die CDU-Politikerin Anja Karliczek. Praxiserfahrung ist auch eine der größten Schwachstellen der ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge: Nicht nur Studenten bemängeln zu wenig praktische Erfahrungen im Studium, sondern auch Absolventen und Führungskräfte. Um die Probleme gemeinsam zu lösen, sollten Unternehmen ihre Verbindung zu den Universitäten und Fachhochschulen vertiefen.
Dual in die Zukunft
Wichtig ist, dass die Studenten bereits während des Studiums mehr Praxiserfahrung sammeln. Das sogenannte duale Studium vereint vollwertiges Studium (der Theorieanteil entspricht zu 100 Prozent dem des regulären Studiums) an einer Hochschule mit praktischer Unternehmenserfahrung. Es ist vor allem der hohe Praxis-und Wissenstransfer, der diesen Bildungsweg so nachhaltig und attraktiv macht. So werden innerhalb der Neumüller Unternehmensgruppe regelmäßig Praktikumsplätze vergeben. Zudem wird hier kontinuierlich an der Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen gearbeitet. Seit dem Wintersemester 2011 bilden die Neumüller Unternehmungen duale Studenten der Fachrichtung Dienstleistungs-/Personalmanagement als zukünftige Leistungsträger aus. Die ehemalige Berufsakademie in Mosbach ist heute ein Standort der staatlichen Berufsakademie Baden-Württemberg. „Pro DHBW Mosbach“ wurde gegründet, um die Zukunftsentwicklung der Akademie und des dualen Systems zu fördern und für die Wirtschaft zusätzliche Fachkräfte- und Führungsnachwuchs auszubilden. Als Förderpartner beteiligt sich das Unternehmen an der Finanzierung von Informationsveranstaltungen und Material für Abiturienten, der Gewinnung von zusätzlichen Ausbildungsbetrieben durch die Akademie sowie an Projekten verschiedener Fachbereiche. Dipl.-Ing. (FH) und Springer-Autor Werner Neumüller, Geschäftsführer der GmbHs der Neumüller Unternehmensgruppe, war dort zeitweise als Lehrbeauftragter tätig.
Auch Anja Karliczek macht sich dafür stark, dass nicht nur alle Schulen vom Digitalpakt profitieren, sondern auch Berufsschulen. Die berufliche Bildung muss aufgewertet werden: „Wenn jemand eine Ausbildung macht, ist das genauso gut, als wenn jemand studiert. Dass man gern in Berufsschulen geht, die schick ausgestattet sind, ist ein Schlüssel zu diesem Ziel.“ Die duale Ausbildung, die Zweiteilung der Lehre in die praktische Ausbildung im Betrieb und den theoretischen Unterricht an der Berufsschule, sollte deshalb Hochkonjunktur haben.
Dennoch bevorzugen viele Abiturienten noch immer ein Studium, weil sie davon überzeugt sind, dass ihnen ein Uni- oder Fachhochschulabschluss eine bessere Karriere ermöglicht – doch das kann ein Trugschluss sein. Allein auf Akademisierung zu setzen greift auch nach Ansicht von Anja Karliczek zu kurz: „Nur weil jemand sich theoretische Kenntnisse angeeignet hat, trägt er nicht stärker zum wirtschaftlichen Erfolg dieses Landes bei als jemand, der den praktischen Weg geht.“ Es geht deshalb um die Kernfrage, wie junge Menschen motiviert werden können, anstelle eines Studiums eine Ausbildung als Option oder Vorstufe zu wählen.
Weiterführende Informationen:
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag. Berlin Heidelberg 2017.
Mario Müller-Dofel: Karriere ohne Studium. Zum Umdenken und Mut machen: Zehn Interviews mit erfolgreichen Nichtakademikern und renommierten Personalexperten. SpringerGabler Verlag 2015.
Josef H. Reichholf: Mein Leben für die Natur. Auf den Spuren von Evolution und Ökologie. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015.
„Wir sollten die Schulen umbauen“. Interview mit Anja Karliczek. In:DIE ZEIT (28.3.2018), S. 73.
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