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Frauen in der Wissenschaft – ein Blick auf das Forschungszentrum Jülich

INTERVIEW | Sabrina Schwarz und Yulia Arinicheva vom Forschungszentrum Jülich sprechen mit uns über Geschlechterstereotype und den Arbeitsalltag als Frau in der Wissenschaft.

INTERVIEW | Sabrina Schwarz und Yulia Arinicheva vom Forschungszentrum Jülich sprechen mit uns über Geschlechterstereotype und den Arbeitsalltag als Frau in der Wissenschaft.

15.03.2022 | Ein Interview geführt von Laura Hofschlag | Bilder: Forschungszentrum Jülich, Ralf-Uwe Limbach

Das Forschungszentrum Jülich beschäftigt sich seit seiner Gründung im Jahr 1956 mit der Lösung gesellschaftlicher Fragestellungen und Herausforderungen unserer Zeit. Die Mission der über 7.000 Mitarbeiter*innen: Wandel gestalten – vor allem in den Forschungsschwerpunkten Information, Bioökonomie und Energie.

Unter den Mitarbeiter*innen des Forschungszentrum Jülichs finden sich auch zahlreiche Wissenschaftlerinnen. Dies ist immer noch keine Selbstverständlichkeit. Eine Erhebung des Statistischen Bundesamt aus dem Jahr 2019 zeigt, dass der EU-Durchschnitt von Wissenschaftlerinnen in Unternehmen bei lediglich 21 Prozent lag.

Wieso ist der Anteil an Frauen so gering, was haben Vorurteile damit zu tun und wie wird sich ihre Rolle in Zukunft weiterentwickeln? Fragen, die uns Sabrina Schwarz vom Büro für Chancengleichheit beantworten kann.

Wie der tatsächliche Arbeitsalltag am Forschungszentrum Jülich aussieht, erzählt uns Yulia Arinicheva. Yulia hat am Institut für Nukleare Entsorgung und Reaktorsicherheit promoviert und beschäftigt sich zurzeit mit Festkörperbatterien.

Interview mit Sabrina Schwarz – Büro für Chancengleichheit, Forschungszentrum Jülich

JOBVERDE: Hallo Sabrina. Wer bist Du und was machst Du am Forschungszentrum Jülich?

Sabrina Schwarz: Ich bin Soziologin und arbeite am Forschungszentrum Jülich in der Stabsstelle Büro für Chancengleichheit (BfC). Die Stabsstelle BfC ist Ansprechpartnerin für die Themen Vereinbarkeit von Beruf und Sorgearbeit, Geschlechtergerechtigkeit und Diversität. Zu diesen Themen steht sie allen Mitarbeitenden, Führungskräften und Kooperationspartner*innen beratend zur Seite und wirkt mit zahlreichen Unterstützungsangeboten an der Umsetzung einer familienbewussten, chancengerechten und inklusiven Unternehmenskultur des Forschungszentrum Jülich. Im BfC verantworte ich als Referentin für Chancengerechtigkeit den Themenbereich Förderung von Frauen in Wissenschaft und Führungspositionen.

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Sabrina Schwarz. (Bild: Privat)

Frauen sind in der Wissenschaft zum Teil noch unterrepräsentiert. Was sind mögliche Ursachen?

Nicht in allen Wissenschaften sind Frauen unterrepräsentiert. In den Gesellschaftswissenschaften sehen wir eine hohe Partizipation von Frauen. Auch ist der Anteil an Studentinnen an wissenschaftlichen Hochschulen insgesamt in den letzten Jahren höher ausgefallen.

In den meisten MINT-Wissenschaften (Studienfachbereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) herrscht jedoch eine Unterrepräsentanz. Doch auch hier sind die Zahlen je nach Fachbereich sehr unterschiedlich. Es gibt Naturwissenschaften, in denen der Frauenanteil ausgeglichen ist – beispielsweise in der Biologie und teilweise auch in der Medizin.

Was sind mögliche Gründe? Auf Grund der in einer Gesellschaft geltenden Normen, Werte und Zuschreibungsprozesse verhalten sich Menschen oft entsprechend ihren geschlechtsspezifischen Rollenvorgaben. Das kann dazu führen, dass Frauen vermehrt in nicht existenzsichernden Berufsbereichen tätig sind, zum Beispiel im sozialen Bereich. Auch die unterschiedliche Verteilung von Männern und Frauen auf verschiedenen Stufen in der Betriebshierarchie spielt eine wichtige Rolle. Im wissenschaftlichen Bereich sind Frauen in den oberen Führungs- und Entscheidungsebenen nach wie vor unterrepräsentiert.

Die meisten MINT-Wissenschaften sind eher „männlich“ konnotiert. Das „Image“ der MINT-Wissenschaften passt dann mitunter nicht zum Selbstbild der Frau. Die geringe Partizipation von Frauen hat viel damit zu tun, wie Arbeitsfelder in der Wissenschaft in der öffentlichen Wahrnehmung dargestellt werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, Mädchen und Frauen darin zu bestärken, unabhängig von gesellschaftlichen Zuschreibungsprozessen ihre Berufswahl zu treffen und die geltenden Bilder über Wissenschaft und Führung zu verändern.

Wieso halten sich Stereotype und Vorurteile so hartnäckig?

Um das gut beantworten zu können, würde ich gerne zwischen den Begriffen unterscheiden.

Dass sich Stereotype halten, ist ganz natürlich. Stereotype sind eigentlich nichts Schlimmes. Die vereinfachen unsere Welt auf einer unbewussten Ebene und verhindern somit, dass wir neue Situationen jedes Mal in der Gesamtheit ihrer Komplexität neu bewerten müssen. Würde unser Unterbewusstsein das nicht tun, würden wir viel Zeit und Energie verschwenden. Bei Geschlechterstereotypen handelt es sich also um kognitive Strukturen, die sozial geteiltes Wissen über die charakteristischen Merkmale von Männern und Frauen enthalten.

Und hier liegt die Gefahr, denn das sozial geteilte Wissen kann, wenn es unreflektiert bleibt, zu Verzerrungen führen. Beispielweise kann das vermeintliche Wissen über Frauen und über die Wissenschaft dazu führen, dass Menschen unbewusst denken, dass diese beiden Aspekte nicht zusammenpassen. 

Wie siehst Du die Entwicklung von Wissenschaftlerinnen in der Zukunft? 

Bezogen auf den Hochtechnologie-Standort Deutschland halte ich die Förderung von Frauen in allen Wissenschaften und besonders den MINT-Fachbereichen für absolut notwendig aus mehreren Gründen:

  1. Bezogen auf den existierenden Fachkräftemangel können wir nicht auf das enorme Potenzial von gut ausgebildeten Frauen verzichten. Weltweit werden bereits jetzt dringend gute Wissenschaftler*innen gesucht und die Situation wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen, vor allem in Deutschland, wo bald die Babyboomer in den Ruhestand gehen und eine große Lücke hinterlassen werden.

  2. Wissenschaft und Forschung haben die Aufgabe, Fragen der Gesellschaft zu beantworten – egal in welchem Bereich. Forschungsergebnisse können allerdings nur ganzheitlich sein, wenn sie für alle Mitglieder einer Gesellschaft nutzbar sind. Daher muss die Perspektive aller aufgrund von unterschiedlichen Lebensrealitäten eingebracht werden.
  3. Zahlreiche Studien belegen, dass divers aufgestellte Teams (hier spielt nicht nur das Geschlecht eine Rolle, sondern auch Alter, Herkunft uvm.) erfolgreicher und innovativer sind als homogene Teams. Die Entwicklung von vielfältigen Teams und damit auch die Förderung von Frauen ist in den kommenden Jahren relevant, wenn Deutschland weiterhin ein erfolgreicher Hochtechnologie-Standort bleiben möchte.

Der Frauenanteil im Forschungszentrum Jülich lag im Jahr 2020 bei 37,2% und liegt damit über dem Durchschnitt anderer Unternehmen in Europa.
Welche konkreten Maßnahmen werden bei euch im Forschungszentrum getroffen?

Ganz wichtig zu betonen ist, dass es nicht die perfekten Maßnahmen gibt, die in besonderem Maße zu einer erfolgreichen Förderung von Frauen führen. Maßnahmen können nur dann nachhaltig wirksam sein, wenn Mitarbeitende und die Führungsebene für das Thema sensibilisiert sind und an „einem Strang“ ziehen. Bei uns ist das glücklicherweise der Fall und wir können Maßnahmen und Instrumente initiieren, die nicht nur punktuell und situativ, sondern nachhaltig wirksam sind. Wir haben am Forschungszentrum eine sehr große Auswahl an Maßnahmen zur Unterstützung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wir stellen diese bewusst allen Mitarbeitenden zur Verfügung, nicht nur Frauen, wobei letztere aber noch immer größtenteils die Sorgearbeit in den privaten Haushalten in Deutschland leisten. Um hier ein Umdenken anzustoßen, setzen wir auch auf Maßnahmen für Väter und unterstützen diese.

Zudem haben wir zahlreiche Maßnahmen implementiert, die wir unter anderem in unserem Gleichstellungplan in folgende Handlungsfelder unterteilen: Vereinbarkeit von Beruf und Sorgearbeit, Rekrutierung und Karriereentwicklung, Geschlechterbalance in Führungspositionen, Genderdimension in der Forschung und sexualisierte Gewalt und Belästigung. Dieser ist öffentlich einsehbar (Link). Schaut gerne einmal hinein!

 

Interview mit Yulia Arinicheva, Institut für Energie- und Klimaforschung - Werkstoffsynthese und Herstellungsverfahren (IEK-1)

In welcher Position arbeitest Du am Forschungszentrum Jülich?

Yulia Arinicheva­: Ich bin Postdoktorandin am Institut für Energie- und Klimaforschung – Werkstoffsynthese und Herstellungsverfahren (IEK-1) im Team Festkörperbatterien und arbeite an einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt. Hier entwickle ich keramikbasierte Lithium-Festkörperbatterien mit hoher Energiedichte und verbesserter Sicherheit.

Wie erlebst Du die Arbeit in deinem Team in einem noch immer recht männlich dominierten Umfeld?

Ich fühle mich in meinem Arbeitsumfeld sehr wohl, denn unser Team ist gut durchmischt, in Bezug auf das Gleichgewicht der Geschlechter sowie verschiedene Nationalitäten und kulturelle Hintergründe.
Die sich daraus ergebende Interdisziplinarität und Diversität fördert in meinen Augen die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen und die Leistungsfähigkeit unseres Teams.
Allerdings merke ich besonders bei internationalen Batterie-Konferenzen, dass sich tatsächlich oft männliche Teilnehmer im Publikum durchsetzen, sich mehr zu Wort melden und mehr Vorträge halten. In meinem Chemie-Studium gab es auch mehr Studenten als Studentinnen. Daher ist es wichtig, schon Mädchen und junge Frauen für den MINT-Bereich zu begeistern und zu fördern, um langfristig auch den Anteil von Frauen in der Wissenschaft zu erhöhen.

Warum hast Du dich für eine wissenschaftliche Karriere am Forschungszentrum entschieden?

Als ich mit dem Masterstudium anfing, war ich mir nicht sicher, wo ich im Anschluss arbeiten möchte, weder geografisch noch ob in der Industrie oder in der Wissenschaft. Für ein 6-wöchiges Forschungspraktikum im Rahmen meines Masterstudiums an der RWTH Aachen habe ich mich beim Forschungszentrum Jülich am Institut für Energie- und Klimaforschung – Nukleare Entsorgung und Reaktorsicherheit (IEK-6), beworben. Ich wurde von meinen Kolleg*innen sehr gut aufgenommen und betreut. Das Forschungsthema im Bereich der Keramiken für nukleare Entsorgung war so spannend, dass ich auch während meiner Masterarbeit am IEK-6 geblieben bin und anschließend dort promoviert habe.
Der Campus bietet für die Forschung eine gute technische Ausstattung, so dass vielfältige wissenschaftliche Fragestellungen untersucht werden können und wenn es doch noch an etwas fehlt, findet man Unterstützung bei Kooperationspartnern. Außerdem gibt es eine Reihe von Weiterbildungsmöglichkeiten und man kann jederzeit Einblick in andere Forschungsthemen erhalten. Dadurch konnte ich in meiner anschließenden Postdoktorandenstelle am Institut für Werkstoffsynthese und Herstellungsverfahren (IEK-1) meine Forschung auf die Entwicklung keramikbasierter Festkörperbatterien ausweiten.

Welche besonderen Vorkenntnisse, Fähigkeiten und Interessen braucht man für deinen Beruf?

Neben den für jede Position spezifischen Fachkenntnissen, braucht man für den Beruf als Wissenschaftler*in vor allem Neugier und Entdeckerfreude, eine lebhafte Vorstellungskraft, um den Weg zu diesen Erkenntnissen zu ebnen sowie Geduld und Fleiß, da Forschung Zeit braucht. Die Arbeit in der Wissenschaft setzt außerdem eine systematische und beharrliche Herangehensweise voraus und die Bereitschaft lebenslang zu lernen sowie letztlich gute Networking-Fähigkeiten, da wissenschaftliches Arbeiten heutzutage nicht mehr im Alleingang betrieben wird, sondern in interdisziplinären und internationalen Teams und Konsortien.

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„Interdisziplinarität und Diversität fördern in meinen Augen die Zufriedenheit der Mitarbeiter*innen und die Leistungsfähigkeit unseres Teams.“ (Yulia, Bild: Forschungszentrum Jülich, Ralf-Uwe Limbach)

Was hat dir während der Gestaltung deiner Karriere am meisten weitergeholfen?

Meine Karriere haben besonders Austausch- und Nachwuchsförderungsprogramme geprägt. So wurde mein Masterstudium an der RWTH Aachen über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gefördert. Treffen der Stipendiat*innen und Sommerschulen, die ebenfalls durch den DAAD organisiert wurden, haben es mir ermöglicht, mit meinem Studium voll durchzustarten. Während meiner Promotion wurde ich durch die Graduiertenschule HITEC (Helmholtz Interdisciplinary Doctoral Training in Energy and Climate Research) gefördert und habe am HITEC-Doktorandenprogramm teilgenommen. In dem Programm konnte ich nicht nur mein Fachwissen vertiefen und erweitern, sondern auch Soft-Skills und Projektmanagementfähigkeiten entwickeln. Letztlich habe ich an einer von der DFG organisierten Nachwuchsakademie "Keramische Werkstoffe: Von den Grundlagen zur Anwendung" teilgenommen. Die darin erworbenen Fähigkeiten haben mir geholfen, mein erstes eigenes DFG-Projekt erfolgreich zu beantragen, an dem ich derzeit auch arbeite.

Welchen Rat würdest Du einer jungen Frau für ihre wissenschaftliche Karriere mit auf den Weg geben?

Unterschätze Dich nicht! Setze Dir ruhig hohe Ziele und suche Dir ein Umfeld, das Dich in Deinen Vorhaben unterstützt. Wenn Du Dich mit Exzellenz und Expertise umgibst, Dich also mit Kolleg*innen und Partnern vernetzt, wirst Du intellektuell herausgefordert und ihr könnt stetig voneinander lernen. Außerdem würde ich empfehlen, sich immer etwas Zeit zu nehmen, um auch links und rechts vom eigenen Forschungsthema zu schauen. „Nebenprojekte“ können zu unerwarteten Entdeckungen führen und als Vorarbeit für zukünftige Projekte dienen.

Hast Du ein persönliches historisches Vorbild?

Da ich in Nuklearchemie promoviert habe, ist es nicht verwunderlich, wenn ich an dieser Stelle Marie Curie als mein persönliches historisches Vorbild nenne. Sie war die erste Frau, die den Nobelpreis erhielt und dies gleich zweifach, sowohl für den Wissenschaftsbereich Physik, als auch für Chemie. Ihre hervorragende wissenschaftliche Karriere konnte sie mit der Erziehung von zwei Töchtern vereinbaren, von denen wiederum eine – Irène Joliot-Curie – ebenfalls mit dem Nobelpreis in Chemie ausgezeichnet wurde. Als Wissenschaftlerin und frischgebackene Mutter von zwei Kindern motiviert es mich, nach der Rückkehr aus der Elternzeit, auch meine Karriere mit viel Engagement weiterzuverfolgen. 

 

 

Vielen herzlichen Dank für das Interview, liebe Sabrina und Yulia!

Dir schwebt nun auch noch eine Frage im Kopf herum, die du gerne an das Forschungszentrum Jülich stellen möchtest?

Dann schreib sie in die Kommentare. Wir freuen uns auf den Austausch mit dir!

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Aktuelle Stellenangebote des Forschungszentrum Jülich findest du hier

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