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Nachhaltigkeit ist eine Schnittstellendisziplin

Zum einen sind Spezialisten in den Fachabteilungen notwendig, zum anderen aber gehört das Wissen über Nachhaltigkeit in jeden Abteilung und an fast jeden Arbeitsplatz, so Prof. Dr. Anja Grothe von der HWR-Berlin.

Zum einen sind Spezialisten in den Fachabteilungen notwendig, zum anderen aber gehört das Wissen über Nachhaltigkeit in jeden Abteilung und an fast jeden Arbeitsplatz, so Prof. Dr. Anja Grothe von der HWR-Berlin.

07.12.2015

JOBVERDE.de: Frau Prof. Grothe, Sie haben eine Professur für Nachhaltigkeitsmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin. Was würden Sie sagen, welchen Stellenwert hat Ihr Studiengang aktuell in der deutschen Wirtschaft?

PROF. ANJA GROTHE: Ich würde die Frage lieber in Bezug auf die Berliner/Brandenburger Wirtschaft beantworten. Hier hat der Studiengang einen hohen Stellenwert. Wir sind ausgesprochen gut vernetzt mit den größten Berliner Industrienetzwerken und haben Partnerschaften zu Unternehmensverbänden. Ca 25% der Studierenden bekommen die Studienplatzgebühr von ihren Unternehmen bezahlt und bringen dafür ihre private Zeit 2 mal die Woche abends und an 13 Wochenenden in 2 Jahren ein, um später als Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanager ihr Wissen wieder ins Unternehmen oder in die Organisation einzubringen. Darüber hinaus gehören zum Studiengang einjährige Praxisprojekte. Hier haben wir schon in über 120 Praxisprojekten mit der Berliner und Brandenburger Wirtschaft zusammen gearbeitet. Da wir regelmäßig dreimal so viele Projektanfragen haben, wie wir tatsächlich pro Jahrgang bearbeiten können, würde ich sagen, dass der Studiengang schon einen bemerkbaren Stellenwert hat.

Sie sind außerdem akademische Direktorin für den Studiengang Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement (NaQM). Worauf legen Sie bei der Entwicklung des Studiengangs besonderen Wert?

Ich lege großen Wert auf die Zukunftsfähigkeit der Inhalte. Das bedeutet zum einen die Anwendbarkeit und  Umsetzbarkeit der in den Modulen gelernten Inhalte. So kooperieren wir beispielsweise mit dem TÜV Rheinland, wodurch die Möglichkeit besteht, bei den Modulen Qualitätsbeauftragte/r und Qualitätsmanager/in während des Studiums zusätzlich eine Prüfung beim TÜV abzulegen und so das TÜV Zertifikat innerhalb des Studium zu erwerben. Zusätzlich kooperieren wir mit dem VDI Zentrum für Ressourceneffizienz und bieten seit 2013 den Lehrgang „Ressourceneffizienzmanager/in“ als Wahlpflichtfach an. Der Lehrgang basiert ausschließlich auf den Lehrplänen zu RE-Qualifizierung des VDI- Zentrums Ressourceneffizienz, welches seine (internen und externen) Dozentinnen und Dozenten zur Durchführung des Lehrgangs im Rahmen des Studiengangs zur Verfügung stellt. Diese Qualifizierung bietet einen grundlegenden Einblick in das Thema des effizienten Ressourceneinsatzes und schafft den Studierenden die Basis, Projekte zur Material- und damit Ressourceneffizienz durchzuführen. Darüber hinaus heißt „Zukunftsfähigkeit“ für mich aber auch „die Dinge weiter zu denken“, d.h. die Studierenden lernen auch Inhalte kennen, die vielleicht noch nicht gleich umsetzbar sind, die aber heute schon angedacht werden müssen, um Morgen noch eine Zukunft zu haben. Diesen Schritt voraus zu denken und dafür auch „Werkzeuge“  als auch Umsetzungsstrategien zu lernen, unterscheidet einen Studiengang doch klar von einem Lehrgang oder von einzeln erwerbaren Seminaren.

Was waren die Gründe, dass sich die HWR Berlin dazu entschlossen hat einen nachhaltigen Studiengang in ihr Lehrprogramm aufzunehmen?

Den Studiengang gibt es insgesamt schon 22 Jahre. Damals hieß er „Umweltökonomie“, war wie heute im berufsbegleitenden Abendstudium als Zertifikatsstudiengang von mir entwickelt worden. Die HWR, die damals noch FHW (Fachhochschule für Wirtschaft) hieß, zeichnete sich schon immer dadurch aus, Wirtschaft ganzheitlich zu verstehen. D.h. der Anteil der Sozialwissenschaften im Rahmen der wirtschaftlichen Studiengänge war schon immer hoch, so war es fast selbstverständlich für die FHW  nicht nur eine arbeitnehmerorientierte BWL zu lehren sondern auch die sozialökologischen Folgen des Wirtschaftens zu betrachten. Unter diesem Gesichtspunkt ist der NaQM Studiengang, der am längsten existierende Nachhaltigkeitsstudiengang Deutschlands. Darauf sind wir richtig stolz, denn in all den Jahren gab es immer mal wieder Zeiten, wo die Nachfrage nach Studienplätzen nachgelassen hat. Die FHW und spätere HWR wollte aber auch immer damit ein Zeichen setzen, wie wichtig ihr die Nachhaltigkeit – auch als Profil – in der Lehre und Forschung ist. So war es  kontinuierlich in all den Jahren immer meine Aufgabe, diesen Studiengang weiter zu entwickeln. Dabei unterstützen mich tatkräftig meine Kollegen Prof. Dr. Stefan Klinski (Umweltrecht) und Prof. Dr. Holger Rogall (Nachhaltige Ökonomie).

Die HWR Berlin betreibt anwendungsorientierte Forschung. Auch im Bereich des Nachhaltigkeitsmanagements?

Natürlich. Wir haben hier mehrere EU finanzierte Drittmittelprojekte durchgeführt, so z.B. zum „Nachhaltigen Wirtschaften für Berliner Betrieb (NBB)“  oder „Berliner Netzwerk für Innovation und Nachhaltigkeit (BeNIN) wie auch das BmBF finanzierte Forschungsprojekt KoNA „Kompetenzentwicklung für Nachhaltigkeit von Führungskräften“. Die Ergebnisse wurden z.B.u.a. in dem Buch „Nachhaltiges Wirtschaften für KMU“ veröffentlicht. Meine Forschungsschwerpunkte sind die Kompetenzentwicklung, wo wir auch das lizensierte KODE® (Kompetenzdiagnostik und Entwicklung) Tool im Studiengang anwenden als auch daran weiter forschen. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Bewertung von unternehmerischer Nachhaltigkeit. Hier habe ich das Tool KIM (Kriterien- und Indikatorenmodell zur Bewertung von Nachhaltigkeit) entwickelt, das in vielen Praxisprojekten von den Studenten in Unternehmen angewendet wird (z.B. kürzlich bei den Besonderen Orten). Darüber erscheint im Frühjahr 2016 auch ein weiteres Buch über „Bewertung unternehmerischer Nachhaltigkeit“ (Erich Schmidt Verlag).

Die Wirtschaft betrachtet nachhaltige Studiengänge oftmals nur als Zusatzqualifikation aber nichts als Spezialisierung. Die Konsequenz ist, dass Absolventen trotz ihres Studiums auf Generalisten-Positionen gesetzt werden, wo sie ihr Fachwissen nicht gezielt einbringen können. Wie also können Universitäten dieser Entwicklung entgegenwirken?

Nachhaltigkeit ist eine Schnittstellendisziplin. Zum einen sind Spezialisten in den Fachabteilungen notwendig, zum anderen aber gehört das Wissen über Nachhaltigkeit in jeden Abteilung und an fast jeden Arbeitsplatz. Nur weil es eine extra Abteilung für CSR oder Nachhaltigkeit gibt, sagt das noch lange nicht aus, dass das Thema wirklich wichtig ist. Man kann es auch manchmal als „abgeschoben“ betrachten, wenn z.B. alle anderen damit nicht viel zu tun haben. Von daher ist es mir wichtig, dass immer mehr Menschen an den Hochschulen von der Wichtigkeit des Themas Nachhaltigkeit im Kontext ihrer späteren Handlungsoptionen erfahren und es zum Selbstverständnis wird und nicht zum „Zusatz“.

Wie bewerten Sie die Karrierechancen Ihrer Absolventen im Studiengang Nachhaltigkeitsmanagement und worauf stützen Sie Ihre Behauptung?

Die sind ausgesprochen gut. Zum einen, da die Unternehmen – wie oben beschrieben – die Mitarbeiter/innen darin unterstützen den Studiengang zu studieren, zum Anderen kündigen aber auch ca 20% ihre Stelle während des Studiums und finden meistens schon während des Studiums eine neue  Stelle. Menschen, die bereit sind „neben“ einer vollen Stelle noch berufsbegleitend Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement zu studieren zeichnen sich doch durch eine enorme Einsatzbereitschaft aus. Sie zeigen sehr eindrucksvoll, wie motiviert und leistungsfähig sie sind. Das wird sehr wohl von den Arbeitsgebern auch so gesehen. Ich bekomme diesbezüglich sehr gute Rückmeldungen und freue mich noch Jahre später, wenn ich über das XING Netzwerk wieder sehen kann, was die NaQM Absolventen für eine Karriere machen.

Die HWR hat Kooperationen mit circa 650 Unternehmen. Inwiefern nutzen Ihren Studenten diese Kontakte in die Wirtschaft?

Die Kontakte stehen allen Studierenden zur Verfügung. Mehr Bedeutung haben aber die Kontakte, die wir speziell für den NaQM entwickelt haben. Hier sind unsere Praxisprojektpartner (s.o.), die Beiratsunternehmen (u.a. IHK, GASAG, Berliner Wasserbetriebe, IÖW, UnternehmensGrün, Klosterfrau, Rucksaldruck etc.) und die Kooperationen mit BAUM  zu nennen. Durch die Praxisprojekte hat manch ein Student schon eine Stelle in dem projektgebenden Unternehmen bekommen um dann im nächsten Jahrgang als Projektbetreuer auf „der anderen Seite“ zu stehen. Diese Art von Netzwerk erfreut mich besonders.

Wird sich die kommende CSR-Berichterstattungspflicht von Großunternehmen positiv auf den Arbeitsmarkt auswirken und entstehen hierdurch eventuell auch neue Berufe?

Ich glaube, dass dadurch die Nachhaltigkeitsberichtserstattung wieder ernsthafter wird und von der ersten „Qual“  (das auch noch) vielleicht der Funke überspringt zu einem „wenn schon, dann richtig“. Wenn letzteres passiert, dann haben Absolventinnen und Absolventen von Nachhaltigkeitsstudiengängen noch bessere Chancen. Neue Berufe sehe ich nicht. Nachhaltigkeit wird erst dann in den Köpfen fest verankert sein, wenn es zum Selbstverständnis wird.

Weiterführende Informationen.



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