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Themenreihe: Arbeiten mit Behinderung

Noch immer kämpfen Menschen mit einer Behinderung gegen viele Barrieren – angefangen bei der Jobsuche bis hin zum Berufsalltag.  

Noch immer kämpfen Menschen mit einer Behinderung gegen viele Barrieren – angefangen bei der Jobsuche bis hin zum Berufsalltag.  

31.08.2021 | Ein Beitrag von Laura Hofschlag | Bilder: Andi Weiland, Boehringer Ingelheim, Gesellschaftsbilder.de, Destatis

In Deutschland leben nach aktuellen Berechnungen des Statistischen Bundesamts 10,4 Millionen Menschen mit einer Behinderung. Davon sind rund 7,9 Millionen Menschen schwerbehindert. Das bedeutet: Der Grad ihrer Behinderung (Gdb) wurde durch das Versorgungsamt auf mindestens 50 eingestuft. Der Gdb ist eine Maßeinheit, der die Schwere der Behinderung beziffert – er wird in 10er-Graden von 20 bis maximal 100 angegeben.

Circa ein Drittel aller Menschen mit einer Schwerbehinderung sind über 75 Jahre alt. Kein Wunder, denn nur drei Prozent aller Behinderungen sind angeboren. Meistens werden Behinderungen im Laufe des Lebens durch eine Krankheit ausgelöst. In den seltensten Fällen ist die Behinderung Folge eines Unfalls oder einer Berufskrankheit. Um diese Menschen nicht vom Leben auszuschließen, spielt Barrierefreiheit eine wichtige Rolle.

Die Erwerbsquote von Menschen mit einer Behinderung liegt in Deutschland bei rund 57 %. Wir blicken im Zuge unserer Themenreihe darauf, was sich durch Gesetze geändert hat und vor welchen Herausforderungen Menschen mit einer Behinderung noch heute stehen – besonders bei der Jobsuche und im Berufsalltag.

Was bedeutet Barrierefreiheit?

Bei dem Wort Barrierefreiheit kommen einem hauptsächlich Aufzüge und Rampen in den Sinn – Barrierefreiheit ist jedoch viel mehr als das. Menschen mit einer Behinderung werden mit visuellen, auditiven oder körperlichen Barrieren konfrontiert.

Die Initiative Aktion-Mensch definiert den Begriff wie folgt: „Barrierefreiheit heißt, dass Gebäude und öffentliche Plätze, Arbeitsstätten und Wohnungen, Verkehrsmittel und Gebrauchsgegenstände, Dienstleistungen und Freizeitangebote so gestaltet werden, dass sie für alle ohne fremde Hilfe zugänglich sind.“

Konkret geht es also nicht nur um Gebäude, Wege oder den Personennahverkehr. Ebenso Handys, Internetseiten und Automaten müssen eigenständig genutzt werden können – eben ohne fremde Hilfe. Hierbei sollten besonders Menschen mit einer Sinnesbehinderung beachtet werden. Zu den Sinnesbehinderungen gehören Blindheit und Sehbehinderungen sowie Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit. Auch diese Menschen müssen einen uneingeschränkten Zugang zu Wissen haben und somit Macht zum informierten sowie selbstbestimmten Handeln besitzen.

Die Umwelt muss sich ändern

Im Mai 2002 ist das Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit einer Behinderung in Kraft getreten (BGG). Es dient seit jeher zur Stärkung des Grundgesetzes, in dem es in Artikel 3 heißt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Ebenso die Vereinten Nationen haben ein „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ getroffen:

„Menschen mit Behinderungen sind Träger*innen von Menschenrechten und der Staat ist in der Pflicht, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu achten, zu gewährleisten und zu schützen. Behinderung wird in diesem Verständnis als Bereicherung der menschlichen Vielfalt angesehen.“

Das Übereinkommen bestärkt, dass Menschen mit Behinderungen sich nicht durch Hilfsmittel an die Umwelt anpassen sollten, sondern sich die Umwelt verändern muss.

Barrierefreiheit im Bauwesen

Die Bestimmungen zur Barrierefreiheit im Bauwesen lassen sich in der Bauordnung für das Land NRW, kurz BauO NRW, finden. Diese regelt, ob ein Gebäude barrierefrei sein muss – es gibt jedoch auch konkrete Vorschriften und Mindestvorgaben, wie die Barrierefreiheit erreicht werden kann. Zum Beispiel wie hoch Greif- und Bedienhöhen von Drückern, Tasten und Griffen sein müssen.

Digitale Barrierefreiheit

Unser Leben verschiebt sich in den letzten Jahren immer mehr in die digitale Welt – eine Entwicklung, die durch die Coronapandemie befeuert wurde.

Online-Meetings, Onlineshopping oder im Internet die aktuellen Nachrichten lesen: Menschen mit einer Behinderung stoßen auch im Netz häufig auf digitale Barrieren.

Digitale und barrierefreie Oberflächen sollten immer zwei der drei Sinne (Hören, Sehen oder Tasten) bedienen. So sollte sich ein Text beispielsweise vergrößern oder vorlesen lassen und ein Video sollte mit Untertiteln versehen oder in Gebärdensprache verfügbar sein. Mehr dazu erfährst du im Video.

 

Arbeiten ohne Barrieren

In Deutschland liegt die Erwerbsquote von Menschen mit einer Behinderung bei rund 57 %. Im Vergleich: Bei nichtbehinderten Menschen liegt sie bei 82 %. Laut dem Statistischen Bundesamt sei einer der Gründe für die Differenz, dass 16% der Menschen mit einer Behinderung keinen allgemeinen Schulabschluss haben. Außerdem suchen Menschen mit einer Behinderung im Durchschnitt über hundert Tage länger nach einem Job als Menschen ohne Behinderung, so Christina Marx von Aktion-Mensch. Gleichzeitig seien Menschen mit einer Behinderung einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt. Erhebungen der Aktion-Mensch aus den vergangenen acht Jahren haben zudem gezeigt, dass die Arbeitslosenquote von Menschen mit einer Behinderung immer rund doppelt so hoch ist, wie die vorherrschende Quote am allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die Folgen von Corona

Die Pandemie hat direkte Auswirkungen auf den inklusiven Arbeitsmarkt genommen. Ende 2019 waren mehr Menschen mit einer Behinderung in den Arbeitsmarkt integriert als je zuvor. Doch durch Corona sind allein in NRW im Jahr 2020 11,2 % mehr Menschen mit einer Behinderung arbeitslos.

Die Initiative Aktion-Mensch setzt ihre Hoffnungen daher ein Stück weit auf die Digitalisierung und das Home-Office. Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung könnten von der Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, profitieren. Dies funktioniere jedoch nur, wenn Menschen mit einer Behinderung nicht an das Home Office gebunden werden. „Home Office kann nur funktionieren, wenn es auch persönliche Begegnungen gibt, damit der Arbeitgeber weiß, welches Potenzial seine Mitarbeiter haben“, merkt Johannes Grasser gegenüber dem WDR an.

 

Die Pandemie hat die Situation am inklusiven Arbeitsmarkt verschärft. (Grafik: Destatis)

Gesetzliche Verpflichtungen und Anforderungen

Unternehmen sind in Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet, sofern sie über mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen, fünf Prozent der freien Stellen an Menschen mit einer Behinderung zu vergeben. Missachten Unternehmen diese Vorgabe, droht ihnen eine Ausgleichsabgabe von bis zu 360€ pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz.

Um den Arbeitsplatz barrierefrei zu gestalten, müssen neben den allgemeinen Vorgaben auch individuelle Vorkehrungen getroffen werden. Zum Beispiel:

  • Bild- und Schreibtelefone oder Lichtsignale an Maschinen
  • die Bereitstellung eines Arbeitsassistenten oder eines Gebärdendolmetschers
  • ein Großbildmonitor, eine ergonomische Tastatur oder eine spezielle Lupe
  • Abstände und genügend Rangierplatz.

Menschen mit einer Behinderung haben in ihrem Arbeitsverhältnis besondere Rechte:

  • Anspruch auf fünf weitere Urlaubstage
  • nach Ablauf der Probezeit kann dem*r Arbeitnehmer*in nur mit Einwilligung des Integrationsamtes gekündigt werden
  • die individuelle Anpassung des Arbeitsplatzes an seine Bedürfnisse.

 Vorurteile als Barriere

„Manche Arbeitgeber denken, Menschen mit Beeinträchtigungen […] hätten einen besonderen Kündigungsschutz, sodass sie sie nicht mehr loswerden, wenn es dem Unternehmen mal schlecht geht“, sagt Kay Senius gegenüber dem mdr. Er ist Leiter der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der ‚besondere‘ Kündigungsschutz soll Menschen mit einer Behinderung vor Diskriminierung schützen. Die Integrationsämter sind jedoch dazu verpflichtet, die Interessen der Arbeitnehmer*innen, aber ebenso die der Arbeitgeber*innen abzuwägen. Die Zahlen der Integrationsämter zeigen: In etwa 75 % der Fälle wird der Kündigung zugestimmt.

Auch die Angst vor häufigem Fehlen oder die Annahme, Menschen mit einer Behinderung seien nicht so belastbar und leistungsfähig, können widerlegt werden und sind bloße Vorurteile. Das „Inklusionsbarometer Arbeit“, eine Studie der Aktion-Mensch, zeigt, dass 78 % der befragten Arbeitgeber*innen keine Unterschiede zwischen Arbeitnehmer*innen mit und ohne Behinderung sehen.

Häufig klagen Unternehmen über den finanziellen Aufwand, um die Firma barrierefrei zu gestalten. Hierfür können jedoch diverse finanzielle Unterstützungen beantragt werden.

Dennoch nehmen Unternehmen es hin, die Ausgleichsabgabe zu zahlen, anstelle Menschen mit einer Behinderung einzustellen – ein weiterer Faktor, der bestärkt, dass der finanzielle Aufwand als reine ‚Ausrede‘ fungiert. Laut der Bundesagentur für Arbeit haben im Jahr 2019 rund 74 % der deutschen Unternehmen Menschen mit einer Behinderung eingestellt.

Und die Betroffenen? Ein Viertel aller Beratungsanfragen, die bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingehen, haben zum Thema: Diskriminierung aufgrund einer Behinderung. Außerdem hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa Menschen mit einer Behinderung gefragt, in welchen Bereichen des Lebens sie sich benachteiligt fühlen – 24 % der Befragten gaben an, sich im Berufsleben diskriminiert zu fühlen.

Arbeiten mit einer Sehbehinderung

Nikos war als Redaktionspraktikant bei der Verde-Portalfamilie. Er ist 23 und seit Anfang 2017 sehbehindert. Seine Diagnose: eine seltene und genetisch bedingte Augenkrankheit. Nikos’ Sehvermögen fiel von 180 % auf gerade einmal 2 % – laut dem Gesetzgeber gilt er als blind.

Der 23-jährige sagt selbst, dass sich seine Lebensqualität dadurch nicht verschlechtert hat. Es habe sich vieles verändert, aber auch zum Positiven. Was bewundernswert ist: Nikos läuft ohne Blindenstock und -hund. Er könne sich selbst sehr gut orientieren. „Es ist definitiv umständlicher als vorher, aber möglich“, sagt er.

Auch im Job muss Nikos Hürden meistern – es ist für ihn zum Beispiel schwieriger, am PC zu arbeiten. Bei einer Jobbewerbung hat Nikos seine Sehbehinderung trotzdem noch nie angegeben. Er spricht seine Krankheit erst bei einem telefonischen oder persönlichem Gespräch an, um aufkommende Zweifel direkt aus dem Weg zu räumen.

Du möchtest mehr wissen? Im Podcast erzählt Nikos ausführlich über den Arbeitsalltag mit seiner Erblindung – offen, mutig und positiv.

„Demokratie braucht Inklusion“

…ist das Motto des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Denn Barrierefreiheit nutzt allen Menschen. Im Laufe des Lebens kann es jeden treffen, plötzlich auf Barrierefreiheit angewiesen zu sein. Darüber hinaus nutzt beispielsweise ein Aufzug nicht nur Rollstuhlfahrer*innen, sondern auch Menschen, die temporär eingeschränkt sind.

Menschen mit einer Behinderung müssen in die Mitte unserer Gesellschaft rücken und sowohl am Leben, als auch an unserer Arbeitswelt teilhaben können.

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Wie du erfolgreich mit Fehlern im Arbeitsalltag umgehen kannst, erfährst du hier: Mist, Fehler – oder eine Chance?

Du bist auf der Suche nach einem Job mit SINN? Dann schau bei unserem grünen Stellenportal vorbei.

 



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