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Nachhaltige Karriereperspektiven für ein selbstbestimmtes Leben - Camsol Technologies im Interview

INTERVIEW | Das Start-up Camsol Technologies bietet Talenten aus dem globalen Süden nachhaltige Karriereperspektiven und die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. 

INTERVIEW | Das Start-up Camsol Technologies bietet Talenten aus dem globalen Süden nachhaltige Karriereperspektiven und die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. 

31.08.2022 | Ein Interview geführt von Eva Moschin und Kira Gretencord | Bild: Cytonn Photography, pexels

Die Wichtigkeit einer gut aufgestellten IT nimmt für die allermeisten Unternehmen weiterhin an Bedeutung zu. Und so sind IT-Spezialist*innen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin sehr gefragt — so sehr, dass die Nachfrage häufig nicht gedeckt werden kann. Gleichzeitig gibt es viele junge IT-Talente, die auf Grund ihrer Herkunft, zum Beispiel dem globalen Süden, meist unentdeckt bleiben.

Camsol Technologies setzt an diesem Problem an und schlägt sprichwörtlich zwei Fliegen mit einer Klappe. Das Start-up leistet nicht einfach Charity Arbeit, sondern bietet jungen Talenten echte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, damit diese sich selbst nachhaltige Zukunftsperspektiven schaffen können.

JOBVERDE: Liebe Selina, du hast das Start-up Camsol Technologies gegründet. Was ist das Ziel des Unternehmens?

Selina Scherer-Braun: Ich möchte nachhaltige Perspektiven für Talente aus dem globalen Süden schaffen. Bezahlte Arbeit ist eine wichtige Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben. Allerdings sind die Chancen auf bezahlte Arbeit weltweit nicht gleich verteilt. Während wir in Deutschland mit der Talent Gap kämpfen, haben viele junge Menschen keinen Zugang zu attraktiven Arbeitsmärkten und müssen nach dem IT-Studium unqualifizierter Billigarbeit nachgehen. Durch die Verbindung von attraktiven Arbeitsmärkten und qualifizierten jungen Menschen schaffen wir soziale Nachhaltigkeit und einen Wandel.

Camsol Technologies vermittelt aktuell zwischen Arbeitssuchenden aus Kamerun und europäischen Unternehmen. Wie seid ihr gerade auf Kamerun gekommen? Gibt es eine Geschichte dazu?

2017 gründeten meine Schwiegereltern einen wohltätigen Verein, der in Kamerun die klassische Charity, die den Bau von Waisenhäusern und die Vergabe von Schulpatenschaften, ausübte. Bei dieser Arbeit lernten wir eine Menge über die Kultur und die Menschen. Für uns stellte sich dabei heraus, dass allein mit caritativen Vorgehensweisen kein nachhaltiger Wandel erzeugt werden kann. So beschäftigten wir uns weiter mit den Bedürfnissen junger Menschen. Und wir lernten, dass diese keine Charity brauchen oder wollen, sondern eine Chance, um sich selbst ein selbstbestimmtes Leben aufbauen zu können. Mit Cameroon Solidarity begegnen wir talentierten und motivierten jungen Menschen auf Augenhöhe, lernen jeden Tag dazu und schaffen nachhaltige, berufliche Perspektiven.


Selina Scherer-Braun ist die Gründerin von Camsol Technologies (Bild: camsol).

Wie sieht der Arbeitsmarkt für IT-Spezialisten in Kamerun aktuell aus?

Trotz einer jährlich vierstelligen Zahl an Absolventen von IT- und IT-nahen Studiengängen liegt die tatsächliche Jugendarbeitslosigkeit bei über 90%. Auch wenn viele junge Menschen sich aufgrund fehlender staatlicher Hilfen nicht arbeitslos melden, müssen diese in fachfremden Berufen arbeiten. Die gering ausgebaute wirtschaftliche Infrastruktur ermöglicht keinen Einstieg in die IT-Branche. Und ohne Erfahrung gibt es international wenig Aussicht auf Arbeitsplätze in der IT. Nach den ersten 2 bis 3 Jahren in fachfremden Berufen ist eine Arbeit in der IT quasi nicht mehr möglich – es fehlt eine kontinuierliche Entwicklung.

Wie läuft die Vermittlung von IT-Absolvent*innen in europäischen Unternehmen ab? Kannst du das für unsere Leser*innen zusammenfassen?

Wir wollen beidseitig Hürden abbauen. Daher fangen wir niederschwellig an. Wir bieten IT-Dienstleistungsverträge an, über die Unternehmen die Arbeit mit den Talenten kennenlernen können. In den Projekten unterstützen wir durch unsere Fachexpertise die Unternehmen und die Talente bei der erfolgreichen Durchführung und vermitteln bei kulturellen Unterschieden. Nachdem die Talente überzeugen dürfen, bieten wir auch die direkte Vermittlung an – die Talente können entweder langfristig remote oder via relocation direkt für das Unternehmen arbeiten. Wir begleiten die ersten Wochen und Monate, sodass mögliche Herausforderungen überwunden werden können.

Wie werden eure Bemühungen in Europa wahrgenommen? Stoßt ihr auf Widerstand bei den europäischen Unternehmer*innen?

Etablierte Unternehmen sind initial skeptisch. Kulturelle und regulatorische Unterschiede, atypische Lebensläufe und dem Land angepasste Arbeitsabläufe führen zu Unsicherheit. Es besteht aber auch Neugier. Kunden, die sich trauen und mit uns arbeiten, wie die Sparkassen Finanzgruppe, sind begeistert. Durch die hohe Verfügbarkeit von Talenten können wir ganz aktiv Projekte und Unternehmen entwickeln und mit kultureller Vielfalt Teams bereichern. Aber auch junge Unternehmen und Startups freuen sich über die hohe Motivation und Energie und begegnen den Talenten offen und auf Augenhöhe.
In Kamerun gelten andere Arbeitsschutzgesetze als in Europa. 

Wie kann man die kamerunischen Absolvent*innen vor Ausbeutung schützen?

An erster Stelle steht das Selbstbewusstsein – Kenntnisse in der IT sind ein wertvolles Gut. Durch strukturellen Rassismus, die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Armut und Erziehung wissen das die Talente nicht immer. Dieses Selbstbewusstsein muss aktiv gefördert werden. Des Weiteren brauchen die Talente ein starkes, professionelles Netzwerk, fundierte Kenntnisse, nachhaltiges Lernen und praktische Team- und Projekterfahrungen. Diese Bausteine sind ein Garant für weitere berufliche Möglichkeiten, sodass die Talente sich vor Ausbeutung schützen können.


Die Mitarbeiter*innen des aktuellen Camsol-Teams in Buea, Kamerun (Bild: Camsol).

Welche Rahmenbedingungen müssen sich auf politischer und wirtschaftlicher Ebene noch ändern, um die Integration von Absolvent*innen aus dem geografischen Süden in den europäischen Arbeitsmarkt zu erleichtern?

Regulatorische Hürden müssen im Interesse der Talente abgebaut werden. Hohe Anforderungen an eine Aufenthaltsgenehmigung, wenig Beratung und Unterstützung vor Ort und Herausforderungen für Unternehmen bei der Einstellung der Talente erschweren den Weg unnötig. Gleichzeitig müssen
Unternehmen jungen Menschen aber auch mehr auf Augenhöhe begegnen. Forderungen wie Berufserfahrung bei Einstiegsjobs oder deutsche Sprachkenntnisse finden wir nicht mehr zeitgemäß. Eine bewusste Akzeptanz von Vielfalt allerdings schon. Es schadet nicht, Unternehmen und Teams für weitere Kulturen und Sprachen zu öffnen, junge Menschen zu fördern und nachhaltig zu entwickeln. Nach unserer Erfahrung führt das zu loyalen Mitarbeitern, die sich wertgeschätzt fühlen, zu langfristigen Perspektiven und jeder Menge neuen und spannenden Erfahrungen auf allen Seiten.

Welche Herausforderungen habt ihr als Startup schon gemeistert und welche Ziele habt ihr seit der Gründung erreicht?

Neben der sozialen Nachhaltigkeit wollten wir schnell eine unternehmerische Nachhaltigkeit ohne externe Investoren etablieren und konnten dies zum Glück innerhalb der ersten zwei Monate erreichen. Auch wollten wir vielen jungen Menschen eine Perspektive bieten und sind nun mit 40 Mitarbeiter*innen breit aufgestellt. Wir konnten fünf junge Menschen zu IT-Führungskräften entwickeln, die nun in Kamerun Teams leiten und Führungsaufgaben übernehmen. Und wir konnten erste MacBooks für unsere Talente anschaffen – eine gute Hardware ist für jeden ITler weltweit wichtig ?

Was ist deine Vision für die Zukunft von Camsol Technologies?

Als eine Brücke sozialer Nachhaltigkeit möchte ich Perspektiven für eine Vielzahl von jungen Menschen im Globalen Süden schaffen – und damit auch die Talent Gap in Deutschland signifikant überwinden. Ein gleichwertiger, respektvoller Umgang eingebettet in ein kulturell diverses Umfeld mit sehr guten Arbeitsbedingungen – das ist meine Vision, sodass junge Menschen ein zufriedenstellendes, selbstbestimmtes Leben führen können.

Vielen herzlichen Dank für das Interview, liebe Selina!

Dir schwebt nun auch noch eine Frage im Kopf herum, die du gerne an Camsol stellen möchtest?

Dann schreib sie in die Kommentare. Wir freuen uns auf den Austausch mit dir!

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Kommentare
Ursula Guth
08.09.2022
Liebe Selina,
soziales Engagement, egal ob in Deutschland oder im Süden ist eine Stütze für Weltfrieden, Sicherheit. Jeder braucht sein finanzielles Auskommen, um sein Leben bestreiten zu können. Wichtig ist es, wo möglich die Unterstützung zu geben.
Camsol ist ein Baustein für ein selbständiges Leben in Kamerun. Danke für das Engagement.
Viel Erfolg!

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