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Ein Rückschritt in der Gleichstellung von Frauen und Männern?!

INTERVIEW | Warum der Frauen-Gleichstellungstag wichtiger als je zuvor ist, erklären dir UN Women Deutschland im heutigen Interview.

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INTERVIEW | Warum der Frauen-Gleichstellungstag wichtiger als je zuvor ist, erklären dir UN Women Deutschland im heutigen Interview.

26.08.2020 | Ein Interview von Tabea Dammann

Schon seit über 100 Jahren kämpfen Frauen auf der ganzen Welt für mehr Gleichstellung und Gleichberechtigung.  Ob im Beruf, im privaten Leben oder im System, nach wie vor ist es notwendig immer wieder erneut an dieses wichtige Thema zu erinnern. Obwohl Studien mittlerweile beweisen, dass vielfältige Managementteams viel profitabler wären, sehen wir nach wie vor fast ausschließlich weiße Männer in unseren Führungspositionen. Sogar in der Nachhaltigkeitsbranche ist dies der Fall. Paradox oder? Somit ist es wichtig, jedes Jahr aufs neue Aufmerksamkeit auf die ungleichen Chancen und Begebenheiten von Männern und Frauen im Beruf zu lenken. UN Women Deutschland verrät dir im heutigen Interview, wie weit Deutschland im Thema der Gleichstellung ist, warum die Corona Pandemie auch hier negative Auswirkungen mit sich bringt und was wir alle tun können, um eine Gleichstellung von Frauen und Männern im Beruf zur Normalität zu machen.

 

JOBVERDE: Heute ist der Frauen-Gleichstellungstag. Nun wurde dieser anfänglich verkündet, um daran zu erinnern, dass Frauen vor 100 Jahren ein gleichberechtigtes Wahlrecht erhielten. Ist es überhaupt noch notwendig an sowas zu erinnern?


Bettina Metz, Geschäftsführerin UN Women Deutschland: Unserer Meinung nach ist eine solche Erinnerung wichtiger denn je. Kein Land der Welt hat bisher die Gleichstellung der Geschlechter erreicht, was sich die Frauen von dem Wahlrecht erhofft hatten. Leider sehen wir weltweit dramatische Rückschritte, was die Gleichstellung von Frauen betrifft. Weltweit wird jede dritte Frau in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt. Aber auch in Deutschland muss mehr Gleichstellungsarbeit geschehen. Der Anteil von Frauen im deutschen Bundestag beträgt nur 30.6% und der Druck von Rechten und Populisten, die ein traditionelles Rollenbild vertreten, steigt stetig. Hinzu kommt, dass die Coronakrise die Gleichstellung aller Geschlechter bedroht, da Frauen zurück in veraltete Verhaltensmuster gedrängt werden, wie zum Beispiel Pflegearbeit für Familienangehörige, Hausarbeit und das Betreuen von Kindern.

Der Frauen-Gleichstellungstag ist größtenteils in Amerika präsent. Sollte Deutschland auch einen solchen Tag einführen oder ist Deutschland in dem Thema der Gleichstellung schon weiter?


Auch wenn Frauen hierzulande das Wahlrecht zwei Jahre vor US-amerikanischen Frauen hatten, ist Deutschland keinesfalls weiter als die USA, was das Thema Gleichstellung betrifft. Die Tatsache, dass wir eine Kanzlerin haben, erscheint vielen als gelungenes Beispiel für eine gleichberechtigte Gesellschaft. Verschiedene Statistiken widerlegen das jedoch. So liegt Deutschland beispielsweise weit hinter den USA im Bereich wirtschaftliche Teilhabe/ Chancen und Zugang zu Bildung (Global Gender Gap Report, 2020). Auch wenn wir keinen Frauen-Gleichstellungstag haben, macht z.B., der Equal Pay Day deutlich, dass es noch viel zu tun gibt.

Gehen wir nun zu unserem “eigentlichen” Thema über: Die Arbeitswelt. Frauen und Gleichstellung innerhalb der Arbeitswelt, ist in Deutschland nach wie vor ein Thema. Was sagen Sie, von UN Women Deutschland, zu den Themen des “Pay-gaps” oder der mangelnden Anzahl an Frauen in Führungspositionen?

Wir finden, dass es dringend an der Zeit ist, dass sich etwas ändert. Wenn man sich den deutschen Arbeitsmarkt anschaut, muss man leider feststellen, dass Frauen immer noch 21% weniger Gehalt bekommen, als Männer in vergleichbaren Positionen. Eine große Problematik ist auch die Vereinbarung von Beruf und Familie für Frauen, die Kinder haben. Nach der Elternzeit werden arbeitende Mütter beruflich oft auf ein Abstellgleis gestellt, dürfen nicht in ihre vorherigen Positionen zurück und merken deutlich, dass sie anders behandelt werden. Daher rufen wir zu einem Umdenken und einer Transformation der Arbeitswelt auf. Arbeitszeiten müssen flexibler und Kinderbetreuungsangebote besser werden. Da sind auch Männer aktiv bei gefordert, denn sie müssen ihren Anteil dazu beitragen, dass Gleichstellung verwirklicht wird und Frauen die gleichen Chancen bekommen, um in der Arbeitswelt zu partizipieren.

Bleiben wir bei dem Thema der Karrierechancen einer Frau. Oftmals mag man denken, dass die mangelnde Zahl an weiblichen CEOs nur in Großkonzernen der Fall ist. Aber auch in den meisten nachhaltigen Unternehmen wird die Führungsebene durch Männer repräsentiert. Woran liegt das? 

Wie bereits gesagt, ist der Wiedereinstieg ins Berufsleben nach der Elternzeit für viele Mütter gespickt von Hürden. Wenn Frauen nach Geburten als zweiklassige Arbeitskräfte wahrgenommen werden, ist es nicht verwunderlich, dass man sie auf der Führungsebene weniger oft vorfindet. Vor allem der Mangel an flexiblen Arbeitszeiten ist hier ein großes Problem für diejenigen, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen wollen. Das Problem zieht sich auch ins Private, denn dort sind Frauen oft damit belastet, sich mehr um Haus und Sorgearbeit zu kümmern, als ihre Partner. Die Problematik wird durch die gläserne Decke verstärkt. Die Führungsspitzen der meisten deutschen Unternehmen bestehen zum Großteil aus Männerrunden, die unter sich bleiben.

Bei meiner Recherche ist mir aufgefallen, dass einige weibliche CEOs von nachhaltigen Unternehmen zurücktreten und Männer ihren Platz einnehmen. Genauso begegnet es mir häufig, dass Frauen ihre Führungsposition mit Männern teilen. Ist dies meine subjektive Wahrnehmung und könnte man dies bereits als Rückschritt bezeichnen? 

Gleichstellung und gleiche Chancen im Beruf bedeutet für Frauen nicht unbedingt, so zu agieren, wie Männer es tun. Sie suchen alternative Modelle, von denen letztendlich auch Männer profitieren. Aber es ist immer noch sehr schwer für Frauen, sich in männerdominierten Gremien zu behaupten. Männer gewähren Frauen weniger Unterstützung als den männlichen Kollegen, unbewusst oder bewusst.

Denken Sie es würde sich etwas nachhaltig in der Gesellschaft ändern, wenn mehr Frauen Führungspositionen einnehmen?

Definitiv. Die Forschung zeigt schon lange, dass gemischte Teams am effizientesten arbeiten und die besten Ergebnisse erzielen. Zum Beispiel hat eine Studie gezeigt, dass vielfältige Managementteams in deutschen Unternehmen dazu führen, dass sich die Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich profitabel zu sein verdoppelt (McKinsey, 2018). Tatsächlich haben Frauen oft bessere Ergebnisse in Studien, die Führungsstile untersuchen (Harvard Business Review, 2019). Diese Forschung beweist, dass Geschlechterstereotype über Geschäftsführung und Management keinen Halt in der Realität finden. Im Umkehrschluss könnte also eine stärkere Repräsentation von Frauen in Führungspositionen einer Gesellschaft helfen, diese Stereotype abzubauen.

Was kann man, unabhängig vom Geschlecht, im alltäglichen Berufsleben dafür tun, dass es mehr Gleichstellung der Frauen gibt?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. In Partnerschaften beispielsweise kann mehr darauf geachtet werden, Sorgearbeit fair zu verteilen. Außerdem könnten beide 30 Stunden arbeiten, und somit Zeit für Freizeit und andere Aufgaben rund um Haushalt, Kindererziehung und Pflege von Angehörigen zu schaffen. Führungskräfte sollten in ihrem Unternehmen außerdem dafür sorgen, dass die Stellen innerhalb einer Organisation ausgeglichen besetzt werden, dass Frauen, aber auch andere benachteiligte Gruppen, bei Entscheidungen beteiligt werden.

Was genau macht UN Women für die Gleichstellung von Männern und Frauen im Beruf? 

Ein Projekt, mit dem UN Women die berufliche Gleichstellung von Männern und Frauen fördert, sind die Women’s Empowerment Principles (WEPs). Durch die Unterzeichnung der WEPs verpflichtet sich ein Unternehmen dazu, Frauen in verschiedenen Bereichen in ihrer Organisation zu stärken und garantieren eine faire Behandlung. Dazu gehört unter anderem ein diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld, das Erstellen von Leistungsindikatoren, damit Gleichstellung gemessen werden kann und Networking und Mentoring, um Chancengleichheit voranzutreiben. Von den 3502 weltweiten Unternehmen, die sich diesen Prinzipen verpflichtet haben, sind 41 deutsche Firmen – es gibt also noch viel Luft nach oben.
Was können Frauen tun, falls sie sich im Beruf ungerecht behandelt fühlen?   
Seit 2017 gibt es in Deutschland das Entgelttransparenzgesetz. Dieses gibt Frauen eine rechtliche Möglichkeit zu erfahren, ob sie ein vergleichbares Gehalt zu dem der männlichen Kollegen bekommen. Wir ermutigen Frauen, sich bei ihrem Arbeitgeber danach zu erkundigen, und gegebenenfalls mehr Gehalt zu fordern.

Das deutsche Gesetz tut ja schon sehr viel für die Gleichstellung. Reicht das? Und könnt ihr als Organisation Einfluss auf die deutsche Gesetzgebung in diesem Kontext nehmen?

Leider hapert es an der Umsetzung dieser guten Gesetze. An Verhältnissen wie dem Gender Pay Gap sehen wir, dass noch nicht genug für die Gleichstellung getan wird. Als strategische Partnerin der Bundesregierung tragen wir dazu bei, dass die deutsche Regierung die Gesetze und Konventionen, die unterzeichnet wurden, auch umsetzen. Beispiele hierfür sind die Frauenrechtskonvention (CEDAW) oder die Istanbul Konvention. Ein Erfolgserlebnis für uns war auch die Verschärfung des Sexualstrafrechts, die wir 2016 gemeinsam mit anderen Frauenrechtsorganisationen erzielen konnten (Stichwort „Nein-heißt-Nein“). Alle Menschen, die unsere Arbeit unterstützen möchten, sind herzlich eingeladen, unter www.unwomen.de Mitglied zu werden und sich so für die Gleichstellung in Deutschland einzusetzen.

Was kann man nun abschließend zu so einem Thema sagen? Zugegebenermaßen kann dieses Thema zu Zeiten auch durchaus deprimierend sein. Man hat das Gefühl, dass im Jahr 2020 die Gleichstellung von Männern und Frauen selbstverständlich sein sollte. Die ganzen aktuellen Studien versetzen diesem Gefühl einen Dämpfer. Wir sollten aber niemals die Hoffnung verlieren und nach wie vor, unermüdlich an dieses Thema erinnern und die aktuellen Umstände aufzeigen - Nur so können wir gemeinsam etwas ändern! Falls du dich stärker in diesem Bereich engagieren möchtest, sind Organisationen wie UN Women Deutschland eine gute Anlaufstelle. Schau also gerne auch bei ihnen vorbei! 

Falls dich das interessiert hat, solltest du auch noch unser zweites Interview mit Mareike Geiling durchlesen. Sie spricht darüber, wie es als Frau ist, verschiedene NGOs zu gründen und welche Probleme Frauen in Führungspositionen tagtäglich begegnen. 

Folg uns gerne auf Instagram, wo wir dieses wichtige Thema ebenfalls diskutieren: JOBVERDE
 

Bilder: UN Women



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